Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Abtheilung. Gedanken
Sprache erfinden. Hat der Mensch keine Vernunft
gehabt, so hat er auch keine Sprache erfinden kön-
nen. Er mußte sie also nothwendig, und noch vor
der Entwicklung seiner Vernunft von dem Schöpfer
erhalten haben. Aber was heißt denn vor der
Entwicklung der Vernunft eine Sprache
haben
? Heißt das nicht vorher sprechen dann
denken und schließen
, Worte ohne Verstand wie
Papageyen hersagen? Jch muß gestehn, das ange-
führte Buch hat für mich viel Sonderbares gehabt.
Jch habe manchmal drey bis vier mit Vordersätzen
angefüllte Seiten gelesen, aus denen ich die unmit-
telbare Folge erwartete, daß der Mensch selbst der
Erfinder seiner Sprache seyn würde. Mit Verwun-
derung sah ich mich auf einmal getäuscht, indem
der Autor kurz einlenkte, und nach ein par Einwür-
fen das Gegentheil behauptete. Der Mann war in
seinem Herzen überzeugt, die entgegengesetzten Mei-
nungen aus dem Grunde widerlegt zu haben --
mich aber hat er nicht beruhiget. Die Sätze: der
Mensch mußte Sprache haben um vernünf-
tig zu werden
, und er mußte vernünftig
seyn um Sprache zu erfinden
, drehten sich

wie

II. Abtheilung. Gedanken
Sprache erfinden. Hat der Menſch keine Vernunft
gehabt, ſo hat er auch keine Sprache erfinden koͤn-
nen. Er mußte ſie alſo nothwendig, und noch vor
der Entwicklung ſeiner Vernunft von dem Schoͤpfer
erhalten haben. Aber was heißt denn vor der
Entwicklung der Vernunft eine Sprache
haben
? Heißt das nicht vorher ſprechen dann
denken und ſchließen
, Worte ohne Verſtand wie
Papageyen herſagen? Jch muß geſtehn, das ange-
fuͤhrte Buch hat fuͤr mich viel Sonderbares gehabt.
Jch habe manchmal drey bis vier mit Vorderſaͤtzen
angefuͤllte Seiten geleſen, aus denen ich die unmit-
telbare Folge erwartete, daß der Menſch ſelbſt der
Erfinder ſeiner Sprache ſeyn wuͤrde. Mit Verwun-
derung ſah ich mich auf einmal getaͤuſcht, indem
der Autor kurz einlenkte, und nach ein par Einwuͤr-
fen das Gegentheil behauptete. Der Mann war in
ſeinem Herzen uͤberzeugt, die entgegengeſetzten Mei-
nungen aus dem Grunde widerlegt zu haben —
mich aber hat er nicht beruhiget. Die Saͤtze: der
Menſch mußte Sprache haben um vernuͤnf-
tig zu werden
, und er mußte vernuͤnftig
ſeyn um Sprache zu erfinden
, drehten ſich

wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0058" n="30"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi>. Abtheilung. Gedanken</hi></fw><lb/>
Sprache erfinden. Hat der Men&#x017F;ch keine Vernunft<lb/>
gehabt, &#x017F;o hat er auch keine Sprache erfinden ko&#x0364;n-<lb/>
nen. Er mußte &#x017F;ie al&#x017F;o nothwendig, und noch vor<lb/>
der Entwicklung &#x017F;einer Vernunft von dem Scho&#x0364;pfer<lb/>
erhalten haben. Aber was heißt denn <hi rendition="#b">vor der<lb/>
Entwicklung der Vernunft eine Sprache<lb/>
haben</hi>? Heißt das nicht <hi rendition="#b">vorher &#x017F;prechen dann<lb/>
denken und &#x017F;chließen</hi>, Worte ohne Ver&#x017F;tand wie<lb/>
Papageyen her&#x017F;agen? Jch muß ge&#x017F;tehn, das ange-<lb/>
fu&#x0364;hrte Buch hat fu&#x0364;r mich viel Sonderbares gehabt.<lb/>
Jch habe manchmal drey bis vier mit Vorder&#x017F;a&#x0364;tzen<lb/>
angefu&#x0364;llte Seiten gele&#x017F;en, aus denen ich die unmit-<lb/>
telbare Folge erwartete, daß der Men&#x017F;ch &#x017F;elb&#x017F;t der<lb/>
Erfinder &#x017F;einer Sprache &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Mit Verwun-<lb/>
derung &#x017F;ah ich mich auf einmal geta&#x0364;u&#x017F;cht, indem<lb/>
der Autor kurz einlenkte, und nach ein par Einwu&#x0364;r-<lb/>
fen das Gegentheil behauptete. Der Mann war in<lb/>
&#x017F;einem Herzen u&#x0364;berzeugt, die entgegenge&#x017F;etzten Mei-<lb/>
nungen aus dem Grunde widerlegt zu haben &#x2014;<lb/>
mich aber hat er nicht beruhiget. Die Sa&#x0364;tze: <hi rendition="#b">der<lb/>
Men&#x017F;ch mußte Sprache haben um vernu&#x0364;nf-<lb/>
tig zu werden</hi>, und <hi rendition="#b">er mußte vernu&#x0364;nftig<lb/>
&#x017F;eyn um Sprache zu erfinden</hi>, drehten &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0058] II. Abtheilung. Gedanken Sprache erfinden. Hat der Menſch keine Vernunft gehabt, ſo hat er auch keine Sprache erfinden koͤn- nen. Er mußte ſie alſo nothwendig, und noch vor der Entwicklung ſeiner Vernunft von dem Schoͤpfer erhalten haben. Aber was heißt denn vor der Entwicklung der Vernunft eine Sprache haben? Heißt das nicht vorher ſprechen dann denken und ſchließen, Worte ohne Verſtand wie Papageyen herſagen? Jch muß geſtehn, das ange- fuͤhrte Buch hat fuͤr mich viel Sonderbares gehabt. Jch habe manchmal drey bis vier mit Vorderſaͤtzen angefuͤllte Seiten geleſen, aus denen ich die unmit- telbare Folge erwartete, daß der Menſch ſelbſt der Erfinder ſeiner Sprache ſeyn wuͤrde. Mit Verwun- derung ſah ich mich auf einmal getaͤuſcht, indem der Autor kurz einlenkte, und nach ein par Einwuͤr- fen das Gegentheil behauptete. Der Mann war in ſeinem Herzen uͤberzeugt, die entgegengeſetzten Mei- nungen aus dem Grunde widerlegt zu haben — mich aber hat er nicht beruhiget. Die Saͤtze: der Menſch mußte Sprache haben um vernuͤnf- tig zu werden, und er mußte vernuͤnftig ſeyn um Sprache zu erfinden, drehten ſich wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/58
Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/58>, abgerufen am 23.11.2024.