Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.I. Abtheilung. mich davon zu überzeugen hieß mich der Abbe dasnächste beste Buch aus seiner zahlreichen Bücher- sammlung herabnehmen, es aufschlagen und eine Zeile wählen, die ich wollte. Drauf rief er einen stummen Knaben von etwan 12 Jahren auf, und ließ ihn vor sich hintreten so, daß er nicht in das Buch sehen konnte. Er las ihm die von mir an- gezeigte Zeile still und ohne Stimme, das ist, mit der bloßen Bewegung des Mundes langsam vor. Gleich schrieb sie der Knabe mit der Kreide Wort für Wort auf die Tafel hin. Dieses beweiset, daß unsere Sprachwerkzeuge ihre sich immer gleiche Wir- kungsgesetze haben, daß ein jeder Laut durch die Lage dieser Werkzeuge von dem andern unterschieden wird, und daß man durch genaue oft wiederholte Beobach- tung seiner selbst und Anderer endlich bestimmen kann, welcher Mittel sich die Natur bedienet die so große Manchfältigkeit bey einem im Grunde doch immer nur einfachen Laut hervorzubringen. Auch ohne besondere Aufmerksamkeit und schon Einem
I. Abtheilung. mich davon zu uͤberzeugen hieß mich der Abbé dasnaͤchſte beſte Buch aus ſeiner zahlreichen Buͤcher- ſammlung herabnehmen, es aufſchlagen und eine Zeile waͤhlen, die ich wollte. Drauf rief er einen ſtummen Knaben von etwan 12 Jahren auf, und ließ ihn vor ſich hintreten ſo, daß er nicht in das Buch ſehen konnte. Er las ihm die von mir an- gezeigte Zeile ſtill und ohne Stimme, das iſt, mit der bloßen Bewegung des Mundes langſam vor. Gleich ſchrieb ſie der Knabe mit der Kreide Wort fuͤr Wort auf die Tafel hin. Dieſes beweiſet, daß unſere Sprachwerkzeuge ihre ſich immer gleiche Wir- kungsgeſetze haben, daß ein jeder Laut durch die Lage dieſer Werkzeuge von dem andern unterſchieden wird, und daß man durch genaue oft wiederholte Beobach- tung ſeiner ſelbſt und Anderer endlich beſtimmen kann, welcher Mittel ſich die Natur bedienet die ſo große Manchfaͤltigkeit bey einem im Grunde doch immer nur einfachen Laut hervorzubringen. Auch ohne beſondere Aufmerkſamkeit und ſchon Einem
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I. Abtheilung.
mich davon zu uͤberzeugen hieß mich der Abbé das
naͤchſte beſte Buch aus ſeiner zahlreichen Buͤcher-
ſammlung herabnehmen, es aufſchlagen und eine
Zeile waͤhlen, die ich wollte. Drauf rief er einen
ſtummen Knaben von etwan 12 Jahren auf, und
ließ ihn vor ſich hintreten ſo, daß er nicht in das
Buch ſehen konnte. Er las ihm die von mir an-
gezeigte Zeile ſtill und ohne Stimme, das iſt, mit
der bloßen Bewegung des Mundes langſam vor.
Gleich ſchrieb ſie der Knabe mit der Kreide Wort
fuͤr Wort auf die Tafel hin. Dieſes beweiſet, daß
unſere Sprachwerkzeuge ihre ſich immer gleiche Wir-
kungsgeſetze haben, daß ein jeder Laut durch die Lage
dieſer Werkzeuge von dem andern unterſchieden wird,
und daß man durch genaue oft wiederholte Beobach-
tung ſeiner ſelbſt und Anderer endlich beſtimmen
kann, welcher Mittel ſich die Natur bedienet die ſo
große Manchfaͤltigkeit bey einem im Grunde doch
immer nur einfachen Laut hervorzubringen.
Auch ohne beſondere Aufmerkſamkeit und ſchon
durch Gewohnheit allein wird man mit dem Spiele
unſerer Sprachwerkzeuge ſo bekannt, daß man oft
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