Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.Von den Werkzeugen der Sprache. man sie ohne Kette herumlaufen lassen kann. Mei-ne Aeffinn war wenigstens in dem Falle. Sie lief im ganzen Hause frey herum, hatte aber diese Freyheit nicht aus unserem Vorsatz, sondern durch folgenden Zufall erhalten. Sie fiel gleich im ersten Jahre, als sie zu uns kam, in eine schwere Krank- heit, und ward so hinfällig, daß sie sich auf ihrem Lager kaum von der einen Seite zur anderen um- wenden konnte. Um ihr ihren elenden Zustand in etwas zu erleichtern, und weil man in ihrer da- maligen Lage von dem, diesen Thieren sonst ganz eigenen, Muthwillen nichts zu besorgen hatte, nahm man ihr die Kette ab. Jhre Krankheit dauerte ei- nige Wochen, endlich kam die Besserung, aber ihre Kräfte fanden sich nur langsam und kaum merkbar ein. Man verschob es daher von einem Tage zum andern sie wieder anzubinden. Da man keine be- sondere Ausschweifung an ihr wahrnahm, so unter- ließ man es endlich ganz, und sie schlich in aller Freyheit bald in dem Hof herum, bald kletterte sie wie eine Katze auf das höchste Dach hinauf. Wenn man sie aber bey ihrem Namen rief, kam sie auch gleich wieder herab. Da sie ein Weibchen war, und zu G
Von den Werkzeugen der Sprache. man ſie ohne Kette herumlaufen laſſen kann. Mei-ne Aeffinn war wenigſtens in dem Falle. Sie lief im ganzen Hauſe frey herum, hatte aber dieſe Freyheit nicht aus unſerem Vorſatz, ſondern durch folgenden Zufall erhalten. Sie fiel gleich im erſten Jahre, als ſie zu uns kam, in eine ſchwere Krank- heit, und ward ſo hinfaͤllig, daß ſie ſich auf ihrem Lager kaum von der einen Seite zur anderen um- wenden konnte. Um ihr ihren elenden Zuſtand in etwas zu erleichtern, und weil man in ihrer da- maligen Lage von dem, dieſen Thieren ſonſt ganz eigenen, Muthwillen nichts zu beſorgen hatte, nahm man ihr die Kette ab. Jhre Krankheit dauerte ei- nige Wochen, endlich kam die Beſſerung, aber ihre Kraͤfte fanden ſich nur langſam und kaum merkbar ein. Man verſchob es daher von einem Tage zum andern ſie wieder anzubinden. Da man keine be- ſondere Ausſchweifung an ihr wahrnahm, ſo unter- ließ man es endlich ganz, und ſie ſchlich in aller Freyheit bald in dem Hof herum, bald kletterte ſie wie eine Katze auf das hoͤchſte Dach hinauf. Wenn man ſie aber bey ihrem Namen rief, kam ſie auch gleich wieder herab. Da ſie ein Weibchen war, und zu G
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Von den Werkzeugen der Sprache.
man ſie ohne Kette herumlaufen laſſen kann. Mei-
ne Aeffinn war wenigſtens in dem Falle. Sie lief
im ganzen Hauſe frey herum, hatte aber dieſe
Freyheit nicht aus unſerem Vorſatz, ſondern durch
folgenden Zufall erhalten. Sie fiel gleich im erſten
Jahre, als ſie zu uns kam, in eine ſchwere Krank-
heit, und ward ſo hinfaͤllig, daß ſie ſich auf ihrem
Lager kaum von der einen Seite zur anderen um-
wenden konnte. Um ihr ihren elenden Zuſtand in
etwas zu erleichtern, und weil man in ihrer da-
maligen Lage von dem, dieſen Thieren ſonſt ganz
eigenen, Muthwillen nichts zu beſorgen hatte, nahm
man ihr die Kette ab. Jhre Krankheit dauerte ei-
nige Wochen, endlich kam die Beſſerung, aber ihre
Kraͤfte fanden ſich nur langſam und kaum merkbar
ein. Man verſchob es daher von einem Tage zum
andern ſie wieder anzubinden. Da man keine be-
ſondere Ausſchweifung an ihr wahrnahm, ſo unter-
ließ man es endlich ganz, und ſie ſchlich in aller
Freyheit bald in dem Hof herum, bald kletterte ſie
wie eine Katze auf das hoͤchſte Dach hinauf. Wenn
man ſie aber bey ihrem Namen rief, kam ſie auch
gleich wieder herab. Da ſie ein Weibchen war, und
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