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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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verbrannte und die Asche in die Luft blies. Dann begann
sie, während das sanfte Schnurren der Spinnräder für
Reinharten eine ebenso neue wie trauliche Begleitung
bildete, ihre Mittheilungen.

"Was nun die hübsche Wirthin vor dem Walde betrifft,"
sagte sie, "so ist sie allerdings eine eigenthümliche Er¬
scheinung. Schon als Kind zeichnete sie sich sowol durch
Schönheit und frisches Wesen, als auch durch eine ganz
eigene Gescheidtheit und Witzigkeit oder Zungenfertigkeit
aus, oder wie man es nennen will, und je mehr sie heran¬
wuchs, desto glänzender schienen diese äußern und innern
Eigenschaften sich auszubilden. Mit der äußern Schönheit
schien es nicht nur, sondern war es auch wirklich der
Fall; denn so hübsch sie auch jetzt noch aussieht, so ist
sie für die, so sie früher gesehen, doch beinahe nur noch
ein Abglanz im Vergleich zu dem, was sie vor einigen
Jahren gewesen. Die innere Schöne oder vermeintliche
Weisheit des Mädchens dagegen erwies sich als ein arger
Schein; sie hat zwar jetzt noch ein so schlagfertiges Rede¬
werk, als es sich nur wünschen läßt, allein es steckt eitel
Thorheit und Finsterniß dahinter. Nicht nur wurde
sie von den Eltern, welches roh gleichgültige Wirths- und
Landleute sind, niemals dazu angehalten, etwas zu lernen
und in ihre Seele hineinzuthun, sondern sie empfand auch
selber nicht den kleinsten Antrieb und blieb zu rechten
Dingen so dumm, daß sie kaum mühselig schreiben
lernte, und man sagt, daß ihr sogar das Lesen ziemlich

Keller, Sinngedicht. 4

verbrannte und die Aſche in die Luft blies. Dann begann
ſie, während das ſanfte Schnurren der Spinnräder für
Reinharten eine ebenſo neue wie trauliche Begleitung
bildete, ihre Mittheilungen.

„Was nun die hübſche Wirthin vor dem Walde betrifft,“
ſagte ſie, „ſo iſt ſie allerdings eine eigenthümliche Er¬
ſcheinung. Schon als Kind zeichnete ſie ſich ſowol durch
Schönheit und friſches Weſen, als auch durch eine ganz
eigene Geſcheidtheit und Witzigkeit oder Zungenfertigkeit
aus, oder wie man es nennen will, und je mehr ſie heran¬
wuchs, deſto glänzender ſchienen dieſe äußern und innern
Eigenſchaften ſich auszubilden. Mit der äußern Schönheit
ſchien es nicht nur, ſondern war es auch wirklich der
Fall; denn ſo hübſch ſie auch jetzt noch ausſieht, ſo iſt
ſie für die, ſo ſie früher geſehen, doch beinahe nur noch
ein Abglanz im Vergleich zu dem, was ſie vor einigen
Jahren geweſen. Die innere Schöne oder vermeintliche
Weisheit des Mädchens dagegen erwies ſich als ein arger
Schein; ſie hat zwar jetzt noch ein ſo ſchlagfertiges Rede¬
werk, als es ſich nur wünſchen läßt, allein es ſteckt eitel
Thorheit und Finſterniß dahinter. Nicht nur wurde
ſie von den Eltern, welches roh gleichgültige Wirths- und
Landleute ſind, niemals dazu angehalten, etwas zu lernen
und in ihre Seele hineinzuthun, ſondern ſie empfand auch
ſelber nicht den kleinſten Antrieb und blieb zu rechten
Dingen ſo dumm, daß ſie kaum mühſelig ſchreiben
lernte, und man ſagt, daß ihr ſogar das Leſen ziemlich

Keller, Sinngedicht. 4
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[49/0059] verbrannte und die Aſche in die Luft blies. Dann begann ſie, während das ſanfte Schnurren der Spinnräder für Reinharten eine ebenſo neue wie trauliche Begleitung bildete, ihre Mittheilungen. „Was nun die hübſche Wirthin vor dem Walde betrifft,“ ſagte ſie, „ſo iſt ſie allerdings eine eigenthümliche Er¬ ſcheinung. Schon als Kind zeichnete ſie ſich ſowol durch Schönheit und friſches Weſen, als auch durch eine ganz eigene Geſcheidtheit und Witzigkeit oder Zungenfertigkeit aus, oder wie man es nennen will, und je mehr ſie heran¬ wuchs, deſto glänzender ſchienen dieſe äußern und innern Eigenſchaften ſich auszubilden. Mit der äußern Schönheit ſchien es nicht nur, ſondern war es auch wirklich der Fall; denn ſo hübſch ſie auch jetzt noch ausſieht, ſo iſt ſie für die, ſo ſie früher geſehen, doch beinahe nur noch ein Abglanz im Vergleich zu dem, was ſie vor einigen Jahren geweſen. Die innere Schöne oder vermeintliche Weisheit des Mädchens dagegen erwies ſich als ein arger Schein; ſie hat zwar jetzt noch ein ſo ſchlagfertiges Rede¬ werk, als es ſich nur wünſchen läßt, allein es ſteckt eitel Thorheit und Finſterniß dahinter. Nicht nur wurde ſie von den Eltern, welches roh gleichgültige Wirths- und Landleute ſind, niemals dazu angehalten, etwas zu lernen und in ihre Seele hineinzuthun, ſondern ſie empfand auch ſelber nicht den kleinſten Antrieb und blieb zu rechten Dingen ſo dumm, daß ſie kaum mühſelig ſchreiben lernte, und man ſagt, daß ihr ſogar das Leſen ziemlich Keller, Sinngedicht. 4

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/59>, abgerufen am 25.11.2024.