Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Er befand sich auf einer großen Terrasse am Abhange
des Berges, auf welcher ein schönes Haus stand; vor
demselben lag ein geräumiger gevierter Platz, durch
steinerne Balustraden gegen den jähen Abhang geschützt.
Der Platz war mit einigen gewaltigen Platanen besetzt,
deren edle Aeste sich schattend über ihn ausbreiteten.
Unter den Platanen und über das Steingeländer hinweg
sah man auf einen in Windungen sich weithin ziehenden
breiten Fluß und in ein Abendland hinaus, das im Glanze
der sinkenden Sonne schwamm. An den zwei übrigen
Seiten war der Platz von Blumengründen begränzt, auf
deren einem der verlegene Reinhart hielt. Er sah nun
zu seinem Verdrusse, daß vorn an der Balustrade zwei
stattliche Auffahrten auf den Hof mündeten.

Unter den Platanen aber erblickte er einen Brunnen
von weißem Marmor, der sich einem viereckigen Monu¬
mente gleich mitten auf dem Platze erhob und sein Wasser
auf jeder der vier Seiten in eine flache, ebenfalls gevierte,
von Delphinen getragene Schale ergoß. Theils auf dem
Rande einer dieser Schalen, theils auf dem klaren Wasser,
das kaum handtief den Marmor deckte, lag und schwamm
ein Haufen Rosen, die zu reinigen und zu ordnen eine
weibliche Gestalt ruhig beschäftigt war, ein schlankes
Frauenzimmer in weißem Sommerkleide, das Gesicht von
einem breiten Strohhute überschattet.

Die untergehende Sonne bestreifte noch eben diese
Höhe sammt der Fontaine und der ruhigen Gestalt, über

Er befand ſich auf einer großen Terraſſe am Abhange
des Berges, auf welcher ein ſchönes Haus ſtand; vor
demſelben lag ein geräumiger gevierter Platz, durch
ſteinerne Baluſtraden gegen den jähen Abhang geſchützt.
Der Platz war mit einigen gewaltigen Platanen beſetzt,
deren edle Aeſte ſich ſchattend über ihn ausbreiteten.
Unter den Platanen und über das Steingeländer hinweg
ſah man auf einen in Windungen ſich weithin ziehenden
breiten Fluß und in ein Abendland hinaus, das im Glanze
der ſinkenden Sonne ſchwamm. An den zwei übrigen
Seiten war der Platz von Blumengründen begränzt, auf
deren einem der verlegene Reinhart hielt. Er ſah nun
zu ſeinem Verdruſſe, daß vorn an der Baluſtrade zwei
ſtattliche Auffahrten auf den Hof mündeten.

Unter den Platanen aber erblickte er einen Brunnen
von weißem Marmor, der ſich einem viereckigen Monu¬
mente gleich mitten auf dem Platze erhob und ſein Waſſer
auf jeder der vier Seiten in eine flache, ebenfalls gevierte,
von Delphinen getragene Schale ergoß. Theils auf dem
Rande einer dieſer Schalen, theils auf dem klaren Waſſer,
das kaum handtief den Marmor deckte, lag und ſchwamm
ein Haufen Roſen, die zu reinigen und zu ordnen eine
weibliche Geſtalt ruhig beſchäftigt war, ein ſchlankes
Frauenzimmer in weißem Sommerkleide, das Geſicht von
einem breiten Strohhute überſchattet.

Die untergehende Sonne beſtreifte noch eben dieſe
Höhe ſammt der Fontaine und der ruhigen Geſtalt, über

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0040" n="30"/>
          <p>Er befand &#x017F;ich auf einer großen Terra&#x017F;&#x017F;e am Abhange<lb/>
des Berges, auf welcher ein &#x017F;chönes Haus &#x017F;tand; vor<lb/>
dem&#x017F;elben lag ein geräumiger gevierter Platz, durch<lb/>
&#x017F;teinerne Balu&#x017F;traden gegen den jähen Abhang ge&#x017F;chützt.<lb/>
Der Platz war mit einigen gewaltigen Platanen be&#x017F;etzt,<lb/>
deren edle Ae&#x017F;te &#x017F;ich &#x017F;chattend über ihn ausbreiteten.<lb/>
Unter den Platanen und über das Steingeländer hinweg<lb/>
&#x017F;ah man auf einen in Windungen &#x017F;ich weithin ziehenden<lb/>
breiten Fluß und in ein Abendland hinaus, das im Glanze<lb/>
der &#x017F;inkenden Sonne &#x017F;chwamm. An den zwei übrigen<lb/>
Seiten war der Platz von Blumengründen begränzt, auf<lb/>
deren einem der verlegene Reinhart hielt. Er &#x017F;ah nun<lb/>
zu &#x017F;einem Verdru&#x017F;&#x017F;e, daß vorn an der Balu&#x017F;trade zwei<lb/>
&#x017F;tattliche Auffahrten auf den Hof mündeten.</p><lb/>
          <p>Unter den Platanen aber erblickte er einen Brunnen<lb/>
von weißem Marmor, der &#x017F;ich einem viereckigen Monu¬<lb/>
mente gleich mitten auf dem Platze erhob und &#x017F;ein Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
auf jeder der vier Seiten in eine flache, ebenfalls gevierte,<lb/>
von Delphinen getragene Schale ergoß. Theils auf dem<lb/>
Rande einer die&#x017F;er Schalen, theils auf dem klaren Wa&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
das kaum handtief den Marmor deckte, lag und &#x017F;chwamm<lb/>
ein Haufen Ro&#x017F;en, die zu reinigen und zu ordnen eine<lb/>
weibliche Ge&#x017F;talt ruhig be&#x017F;chäftigt war, ein &#x017F;chlankes<lb/>
Frauenzimmer in weißem Sommerkleide, das Ge&#x017F;icht von<lb/>
einem breiten Strohhute über&#x017F;chattet.</p><lb/>
          <p>Die untergehende Sonne be&#x017F;treifte noch eben die&#x017F;e<lb/>
Höhe &#x017F;ammt der Fontaine und der ruhigen Ge&#x017F;talt, über<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0040] Er befand ſich auf einer großen Terraſſe am Abhange des Berges, auf welcher ein ſchönes Haus ſtand; vor demſelben lag ein geräumiger gevierter Platz, durch ſteinerne Baluſtraden gegen den jähen Abhang geſchützt. Der Platz war mit einigen gewaltigen Platanen beſetzt, deren edle Aeſte ſich ſchattend über ihn ausbreiteten. Unter den Platanen und über das Steingeländer hinweg ſah man auf einen in Windungen ſich weithin ziehenden breiten Fluß und in ein Abendland hinaus, das im Glanze der ſinkenden Sonne ſchwamm. An den zwei übrigen Seiten war der Platz von Blumengründen begränzt, auf deren einem der verlegene Reinhart hielt. Er ſah nun zu ſeinem Verdruſſe, daß vorn an der Baluſtrade zwei ſtattliche Auffahrten auf den Hof mündeten. Unter den Platanen aber erblickte er einen Brunnen von weißem Marmor, der ſich einem viereckigen Monu¬ mente gleich mitten auf dem Platze erhob und ſein Waſſer auf jeder der vier Seiten in eine flache, ebenfalls gevierte, von Delphinen getragene Schale ergoß. Theils auf dem Rande einer dieſer Schalen, theils auf dem klaren Waſſer, das kaum handtief den Marmor deckte, lag und ſchwamm ein Haufen Roſen, die zu reinigen und zu ordnen eine weibliche Geſtalt ruhig beſchäftigt war, ein ſchlankes Frauenzimmer in weißem Sommerkleide, das Geſicht von einem breiten Strohhute überſchattet. Die untergehende Sonne beſtreifte noch eben dieſe Höhe ſammt der Fontaine und der ruhigen Geſtalt, über

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/40
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/40>, abgerufen am 21.11.2024.