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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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als junger Mann noch so unkundig oder blind war,
genug, er hatte diese Seite der Sache noch gar nicht be¬
dacht und erröthete über den Worten des Alten ordent¬
lich von der inneren Wärme, die sie ihm verursachten.

"So geht es", sagte er mit unmerklicher Bewegung;
"wenn man immer in Bildern und Gleichnissen spricht,
so versteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr und
wird unhöflich. Indessen habe ich natürlich an das
Fräulein gar nicht gedacht, so wenig als eigentlich an
mich selbst, so wie man auch niemals selber zu halten
gedenkt, was man predigt. Es ist Zeit, daß ich abreite,
sonst verwickele ich mich noch in Widersprüche und Thor¬
heiten mit meinem Geschwätz, wie eine Schnepfe im Garn."

"Gut, reiten Sie," antwortete der alte Herr, "aber
kehren Sie bald wieder! Kommen Sie zuweilen Sonn¬
tags und nehmen Sie statt des alten Nilpferdes einen
jungen Kutscher mit guten Trabern, so fahren Sie
rascher vom Fleck und sind weniger vom Wetter abhängig.
Ich mag der Lux zur Abwechselung eine heitere junge
Gesellschaft, wie die Ihrige, gönnen; sie ist frei, munter
und selbständig und macht keine Dummheiten. Ich selbst
aber freue mich ordentlich sentimental darauf, den Freunden
meiner Jugend durch Sie am Lebensabend noch einmal
nahe zu treten, und freue mich auch, der Dame Else
Moorland, Ihrer Mutter, meine Nichte unter Augen zu
stellen, damit sie sieht, wir seien hier auch nicht von
Stroh!"

Keller, Sinngedicht. 24

als junger Mann noch ſo unkundig oder blind war,
genug, er hatte dieſe Seite der Sache noch gar nicht be¬
dacht und erröthete über den Worten des Alten ordent¬
lich von der inneren Wärme, die ſie ihm verurſachten.

„So geht es“, ſagte er mit unmerklicher Bewegung;
„wenn man immer in Bildern und Gleichniſſen ſpricht,
ſo verſteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr und
wird unhöflich. Indeſſen habe ich natürlich an das
Fräulein gar nicht gedacht, ſo wenig als eigentlich an
mich ſelbſt, ſo wie man auch niemals ſelber zu halten
gedenkt, was man predigt. Es iſt Zeit, daß ich abreite,
ſonſt verwickele ich mich noch in Widerſprüche und Thor¬
heiten mit meinem Geſchwätz, wie eine Schnepfe im Garn.“

„Gut, reiten Sie,“ antwortete der alte Herr, „aber
kehren Sie bald wieder! Kommen Sie zuweilen Sonn¬
tags und nehmen Sie ſtatt des alten Nilpferdes einen
jungen Kutſcher mit guten Trabern, ſo fahren Sie
raſcher vom Fleck und ſind weniger vom Wetter abhängig.
Ich mag der Lux zur Abwechſelung eine heitere junge
Geſellſchaft, wie die Ihrige, gönnen; ſie iſt frei, munter
und ſelbſtändig und macht keine Dummheiten. Ich ſelbſt
aber freue mich ordentlich ſentimental darauf, den Freunden
meiner Jugend durch Sie am Lebensabend noch einmal
nahe zu treten, und freue mich auch, der Dame Elſe
Moorland, Ihrer Mutter, meine Nichte unter Augen zu
ſtellen, damit ſie ſieht, wir ſeien hier auch nicht von
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Keller, Sinngedicht. 24
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[369/0379] als junger Mann noch ſo unkundig oder blind war, genug, er hatte dieſe Seite der Sache noch gar nicht be¬ dacht und erröthete über den Worten des Alten ordent¬ lich von der inneren Wärme, die ſie ihm verurſachten. „So geht es“, ſagte er mit unmerklicher Bewegung; „wenn man immer in Bildern und Gleichniſſen ſpricht, ſo verſteht man die Wirklichkeit zuletzt nicht mehr und wird unhöflich. Indeſſen habe ich natürlich an das Fräulein gar nicht gedacht, ſo wenig als eigentlich an mich ſelbſt, ſo wie man auch niemals ſelber zu halten gedenkt, was man predigt. Es iſt Zeit, daß ich abreite, ſonſt verwickele ich mich noch in Widerſprüche und Thor¬ heiten mit meinem Geſchwätz, wie eine Schnepfe im Garn.“ „Gut, reiten Sie,“ antwortete der alte Herr, „aber kehren Sie bald wieder! Kommen Sie zuweilen Sonn¬ tags und nehmen Sie ſtatt des alten Nilpferdes einen jungen Kutſcher mit guten Trabern, ſo fahren Sie raſcher vom Fleck und ſind weniger vom Wetter abhängig. Ich mag der Lux zur Abwechſelung eine heitere junge Geſellſchaft, wie die Ihrige, gönnen; ſie iſt frei, munter und ſelbſtändig und macht keine Dummheiten. Ich ſelbſt aber freue mich ordentlich ſentimental darauf, den Freunden meiner Jugend durch Sie am Lebensabend noch einmal nahe zu treten, und freue mich auch, der Dame Elſe Moorland, Ihrer Mutter, meine Nichte unter Augen zu ſtellen, damit ſie ſieht, wir ſeien hier auch nicht von Stroh!“ Keller, Sinngedicht. 24

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/379>, abgerufen am 22.11.2024.