Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den Spuren einer Wilden umher irrte.
Ich kann es nicht wagen, eine Beschreibung von dem wunderbaren Wesen zu machen, und muß es den Herren überlassen, sich nach eigenem Geschmacksurtheil das Schönste vorzustellen, was man sich damals unter einer eingeborenen Tochter Columbias dachte, sowol was Körperbau und Hautfarbe, als Kostüm und dergleichen betrifft. Ein hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes Papagenakleidchen räthlich sein; doch wie gesagt, ich will mich nicht weiter einmischen und nur noch andeuten, daß sie in ihrer Sprache Quoneschi, d. h. Libelle oder Wasser¬ jungfer genannt wurde.
So viel ist sicher, daß sie es meisterlich verstand, wie eine Libelle ihm bald über den Weg zu schwirren, bald sich unsichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick auf ihn zu werfen, dann spröd und kalt ihm auszuweichen; allein Thibaut wurde nicht müde, sich bethulich und ge¬ duldig zu zeigen und sie wenigstens mit schmachtenden Augen zu verfolgen, wenn sie durchaus nicht in die Nähe zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das Frauengeschlecht in Frankreich gewesen, so heftig verliebte er sich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu mit dem Gedanken um, dasselbe zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu erheben. Wie würde das philosophische Paris erstaunen, dachte er sich, ihn mit diesem Inbegriff
Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den Spuren einer Wilden umher irrte.
Ich kann es nicht wagen, eine Beſchreibung von dem wunderbaren Weſen zu machen, und muß es den Herren überlaſſen, ſich nach eigenem Geſchmacksurtheil das Schönſte vorzuſtellen, was man ſich damals unter einer eingeborenen Tochter Columbias dachte, ſowol was Körperbau und Hautfarbe, als Koſtüm und dergleichen betrifft. Ein hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes Papagenakleidchen räthlich ſein; doch wie geſagt, ich will mich nicht weiter einmiſchen und nur noch andeuten, daß ſie in ihrer Sprache Quoneſchi, d. h. Libelle oder Waſſer¬ jungfer genannt wurde.
So viel iſt ſicher, daß ſie es meiſterlich verſtand, wie eine Libelle ihm bald über den Weg zu ſchwirren, bald ſich unſichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick auf ihn zu werfen, dann ſpröd und kalt ihm auszuweichen; allein Thibaut wurde nicht müde, ſich bethulich und ge¬ duldig zu zeigen und ſie wenigſtens mit ſchmachtenden Augen zu verfolgen, wenn ſie durchaus nicht in die Nähe zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das Frauengeſchlecht in Frankreich geweſen, ſo heftig verliebte er ſich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu mit dem Gedanken um, dasſelbe zu ſeiner rechtmäßigen Gemahlin zu erheben. Wie würde das philoſophiſche Paris erſtaunen, dachte er ſich, ihn mit dieſem Inbegriff
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Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den
Spuren einer Wilden umher irrte.
Ich kann es nicht wagen, eine Beſchreibung von dem
wunderbaren Weſen zu machen, und muß es den Herren
überlaſſen, ſich nach eigenem Geſchmacksurtheil das Schönſte
vorzuſtellen, was man ſich damals unter einer eingeborenen
Tochter Columbias dachte, ſowol was Körperbau und
Hautfarbe, als Koſtüm und dergleichen betrifft. Ein
hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes
Papagenakleidchen räthlich ſein; doch wie geſagt, ich will
mich nicht weiter einmiſchen und nur noch andeuten, daß
ſie in ihrer Sprache Quoneſchi, d. h. Libelle oder Waſſer¬
jungfer genannt wurde.
So viel iſt ſicher, daß ſie es meiſterlich verſtand, wie
eine Libelle ihm bald über den Weg zu ſchwirren, bald
ſich unſichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick
auf ihn zu werfen, dann ſpröd und kalt ihm auszuweichen;
allein Thibaut wurde nicht müde, ſich bethulich und ge¬
duldig zu zeigen und ſie wenigſtens mit ſchmachtenden
Augen zu verfolgen, wenn ſie durchaus nicht in die Nähe
zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das
Frauengeſchlecht in Frankreich geweſen, ſo heftig verliebte
er ſich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu
mit dem Gedanken um, dasſelbe zu ſeiner rechtmäßigen
Gemahlin zu erheben. Wie würde das philoſophiſche
Paris erſtaunen, dachte er ſich, ihn mit dieſem Inbegriff
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/369>, abgerufen am 22.11.2024.
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