Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den
Spuren einer Wilden umher irrte.

Ich kann es nicht wagen, eine Beschreibung von dem
wunderbaren Wesen zu machen, und muß es den Herren
überlassen, sich nach eigenem Geschmacksurtheil das Schönste
vorzustellen, was man sich damals unter einer eingeborenen
Tochter Columbias dachte, sowol was Körperbau und
Hautfarbe, als Kostüm und dergleichen betrifft. Ein
hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes
Papagenakleidchen räthlich sein; doch wie gesagt, ich will
mich nicht weiter einmischen und nur noch andeuten, daß
sie in ihrer Sprache Quoneschi, d. h. Libelle oder Wasser¬
jungfer genannt wurde.

So viel ist sicher, daß sie es meisterlich verstand, wie
eine Libelle ihm bald über den Weg zu schwirren, bald
sich unsichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick
auf ihn zu werfen, dann spröd und kalt ihm auszuweichen;
allein Thibaut wurde nicht müde, sich bethulich und ge¬
duldig zu zeigen und sie wenigstens mit schmachtenden
Augen zu verfolgen, wenn sie durchaus nicht in die Nähe
zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das
Frauengeschlecht in Frankreich gewesen, so heftig verliebte
er sich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu
mit dem Gedanken um, dasselbe zu seiner rechtmäßigen
Gemahlin zu erheben. Wie würde das philosophische
Paris erstaunen, dachte er sich, ihn mit diesem Inbegriff

Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den
Spuren einer Wilden umher irrte.

Ich kann es nicht wagen, eine Beſchreibung von dem
wunderbaren Weſen zu machen, und muß es den Herren
überlaſſen, ſich nach eigenem Geſchmacksurtheil das Schönſte
vorzuſtellen, was man ſich damals unter einer eingeborenen
Tochter Columbias dachte, ſowol was Körperbau und
Hautfarbe, als Koſtüm und dergleichen betrifft. Ein
hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes
Papagenakleidchen räthlich ſein; doch wie geſagt, ich will
mich nicht weiter einmiſchen und nur noch andeuten, daß
ſie in ihrer Sprache Quoneſchi, d. h. Libelle oder Waſſer¬
jungfer genannt wurde.

So viel iſt ſicher, daß ſie es meiſterlich verſtand, wie
eine Libelle ihm bald über den Weg zu ſchwirren, bald
ſich unſichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick
auf ihn zu werfen, dann ſpröd und kalt ihm auszuweichen;
allein Thibaut wurde nicht müde, ſich bethulich und ge¬
duldig zu zeigen und ſie wenigſtens mit ſchmachtenden
Augen zu verfolgen, wenn ſie durchaus nicht in die Nähe
zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das
Frauengeſchlecht in Frankreich geweſen, ſo heftig verliebte
er ſich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu
mit dem Gedanken um, dasſelbe zu ſeiner rechtmäßigen
Gemahlin zu erheben. Wie würde das philoſophiſche
Paris erſtaunen, dachte er ſich, ihn mit dieſem Inbegriff

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0369" n="359"/>
Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den<lb/>
Spuren einer Wilden umher irrte.</p><lb/>
          <p>Ich kann es nicht wagen, eine Be&#x017F;chreibung von dem<lb/>
wunderbaren We&#x017F;en zu machen, und muß es den Herren<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich nach eigenem Ge&#x017F;chmacksurtheil das Schön&#x017F;te<lb/>
vorzu&#x017F;tellen, was man &#x017F;ich damals unter einer eingeborenen<lb/>
Tochter Columbias dachte, &#x017F;owol was Körperbau und<lb/>
Hautfarbe, als Ko&#x017F;tüm und dergleichen betrifft. Ein<lb/>
hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes<lb/>
Papagenakleidchen räthlich &#x017F;ein; doch wie ge&#x017F;agt, ich will<lb/>
mich nicht weiter einmi&#x017F;chen und nur noch andeuten, daß<lb/>
&#x017F;ie in ihrer Sprache Quone&#x017F;chi, d. h. Libelle oder Wa&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
jungfer genannt wurde.</p><lb/>
          <p>So viel i&#x017F;t &#x017F;icher, daß &#x017F;ie es mei&#x017F;terlich ver&#x017F;tand, wie<lb/>
eine Libelle ihm bald über den Weg zu &#x017F;chwirren, bald<lb/>
&#x017F;ich un&#x017F;ichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick<lb/>
auf ihn zu werfen, dann &#x017F;pröd und kalt ihm auszuweichen;<lb/>
allein Thibaut wurde nicht müde, &#x017F;ich bethulich und ge¬<lb/>
duldig zu zeigen und &#x017F;ie wenig&#x017F;tens mit &#x017F;chmachtenden<lb/>
Augen zu verfolgen, wenn &#x017F;ie durchaus nicht in die Nähe<lb/>
zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das<lb/>
Frauenge&#x017F;chlecht in Frankreich gewe&#x017F;en, &#x017F;o heftig verliebte<lb/>
er &#x017F;ich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu<lb/>
mit dem Gedanken um, das&#x017F;elbe zu &#x017F;einer rechtmäßigen<lb/>
Gemahlin zu erheben. Wie würde das philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Paris er&#x017F;taunen, dachte er &#x017F;ich, ihn mit die&#x017F;em Inbegriff<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0369] Vergangenheit vergaß und einem Neuling gleich auf den Spuren einer Wilden umher irrte. Ich kann es nicht wagen, eine Beſchreibung von dem wunderbaren Weſen zu machen, und muß es den Herren überlaſſen, ſich nach eigenem Geſchmacksurtheil das Schönſte vorzuſtellen, was man ſich damals unter einer eingeborenen Tochter Columbias dachte, ſowol was Körperbau und Hautfarbe, als Koſtüm und dergleichen betrifft. Ein hoher Turban von Federn wird unerläßlich, ein buntes Papagenakleidchen räthlich ſein; doch wie geſagt, ich will mich nicht weiter einmiſchen und nur noch andeuten, daß ſie in ihrer Sprache Quoneſchi, d. h. Libelle oder Waſſer¬ jungfer genannt wurde. So viel iſt ſicher, daß ſie es meiſterlich verſtand, wie eine Libelle ihm bald über den Weg zu ſchwirren, bald ſich unſichtbar zu machen, jetzt einen verlangenden Blick auf ihn zu werfen, dann ſpröd und kalt ihm auszuweichen; allein Thibaut wurde nicht müde, ſich bethulich und ge¬ duldig zu zeigen und ſie wenigſtens mit ſchmachtenden Augen zu verfolgen, wenn ſie durchaus nicht in die Nähe zu bringen war. So gleichgültig er zuletzt gegen das Frauengeſchlecht in Frankreich geweſen, ſo heftig verliebte er ſich jetzt in das rothe Naturkind und ging geradezu mit dem Gedanken um, dasſelbe zu ſeiner rechtmäßigen Gemahlin zu erheben. Wie würde das philoſophiſche Paris erſtaunen, dachte er ſich, ihn mit dieſem Inbegriff

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/369
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/369>, abgerufen am 01.09.2024.