Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

das gleiche zu thun, wie wenn sie noch zwanzig Jahre
alt wäre. Voll Schrecken erwachte sie aus ihrer süßen
Verirrung, die sie nun doch nicht recht bereuen konnte;
sie machte sich hastig aus seinen Armen frei, und während
sie ihn mit feuchten Augen nochmals ansah, drückte sie ihm
zitternd das Opalherz in die Hand und bat ihn, sie doch
gleich zu verlassen. Dann lehnte sie sich mit gefalteten
Händen in ihren Sessel zurück, um sich von dem höchst
seltsamen Erlebnisse zu erholen.

Als Thibaut die neue Trophäe an der Uhr befestigt
hatte, dünkte ihm die Berlocke mit drei Herzen nunmehr
stattlich genug zu sein, um sie endlich auszuhängen; auch
kam es ihm gerade recht, daß er an eine Offiziersstelle
in Paris versetzt wurde; denn nur diese Stadt konnte
fortan der rechte Schauplatz seiner ferneren Thaten sein.
Und es fehlte ihm nicht an Eroberungen und Protectionen,
die ihm bald eine eigene Compagnie verschafften, deren
Capitän er wurde. Allein je vornehmer die Damen
waren, deren Eroberung er machte, und je kostbarer die
Kleinödchen, die er an seine Uhrkette hing, desto unklarer
wurde es ihm, ob er eigentlich es sei, der die Schönen
sitzen ließ, oder ob er von ihnen verlassen werde. Gleich¬
viel, sein Uhrgehänge klirrte und blitzte, daß es eine Art
hatte, und er galt für den gefährlichsten Cavalier der
Armee, wenn er im Kreise der Herren Kameraden die
Geschichte der einzelnen Merkwürdigkeiten erzählte und
die Juwelen und Perlen streichelte, die sich darunter

das gleiche zu thun, wie wenn ſie noch zwanzig Jahre
alt wäre. Voll Schrecken erwachte ſie aus ihrer ſüßen
Verirrung, die ſie nun doch nicht recht bereuen konnte;
ſie machte ſich haſtig aus ſeinen Armen frei, und während
ſie ihn mit feuchten Augen nochmals anſah, drückte ſie ihm
zitternd das Opalherz in die Hand und bat ihn, ſie doch
gleich zu verlaſſen. Dann lehnte ſie ſich mit gefalteten
Händen in ihren Seſſel zurück, um ſich von dem höchſt
ſeltſamen Erlebniſſe zu erholen.

Als Thibaut die neue Trophäe an der Uhr befeſtigt
hatte, dünkte ihm die Berlocke mit drei Herzen nunmehr
ſtattlich genug zu ſein, um ſie endlich auszuhängen; auch
kam es ihm gerade recht, daß er an eine Offiziersſtelle
in Paris verſetzt wurde; denn nur dieſe Stadt konnte
fortan der rechte Schauplatz ſeiner ferneren Thaten ſein.
Und es fehlte ihm nicht an Eroberungen und Protectionen,
die ihm bald eine eigene Compagnie verſchafften, deren
Capitän er wurde. Allein je vornehmer die Damen
waren, deren Eroberung er machte, und je koſtbarer die
Kleinödchen, die er an ſeine Uhrkette hing, deſto unklarer
wurde es ihm, ob er eigentlich es ſei, der die Schönen
ſitzen ließ, oder ob er von ihnen verlaſſen werde. Gleich¬
viel, ſein Uhrgehänge klirrte und blitzte, daß es eine Art
hatte, und er galt für den gefährlichſten Cavalier der
Armee, wenn er im Kreiſe der Herren Kameraden die
Geſchichte der einzelnen Merkwürdigkeiten erzählte und
die Juwelen und Perlen ſtreichelte, die ſich darunter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0366" n="356"/>
das gleiche zu thun, wie wenn &#x017F;ie noch zwanzig Jahre<lb/>
alt wäre. Voll Schrecken erwachte &#x017F;ie aus ihrer &#x017F;üßen<lb/>
Verirrung, die &#x017F;ie nun doch nicht recht bereuen konnte;<lb/>
&#x017F;ie machte &#x017F;ich ha&#x017F;tig aus &#x017F;einen Armen frei, und während<lb/>
&#x017F;ie ihn mit feuchten Augen nochmals an&#x017F;ah, drückte &#x017F;ie ihm<lb/>
zitternd das Opalherz in die Hand und bat ihn, &#x017F;ie doch<lb/>
gleich zu verla&#x017F;&#x017F;en. Dann lehnte &#x017F;ie &#x017F;ich mit gefalteten<lb/>
Händen in ihren Se&#x017F;&#x017F;el zurück, um &#x017F;ich von dem höch&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;amen Erlebni&#x017F;&#x017F;e zu erholen.</p><lb/>
          <p>Als Thibaut die neue Trophäe an der Uhr befe&#x017F;tigt<lb/>
hatte, dünkte ihm die Berlocke mit drei Herzen nunmehr<lb/>
&#x017F;tattlich genug zu &#x017F;ein, um &#x017F;ie endlich auszuhängen; auch<lb/>
kam es ihm gerade recht, daß er an eine Offiziers&#x017F;telle<lb/>
in Paris ver&#x017F;etzt wurde; denn nur die&#x017F;e Stadt konnte<lb/>
fortan der rechte Schauplatz &#x017F;einer ferneren Thaten &#x017F;ein.<lb/>
Und es fehlte ihm nicht an Eroberungen und Protectionen,<lb/>
die ihm bald eine eigene Compagnie ver&#x017F;chafften, deren<lb/>
Capitän er wurde. Allein je vornehmer die Damen<lb/>
waren, deren Eroberung er machte, und je ko&#x017F;tbarer die<lb/>
Kleinödchen, die er an &#x017F;eine Uhrkette hing, de&#x017F;to unklarer<lb/>
wurde es ihm, ob er eigentlich es &#x017F;ei, der die Schönen<lb/>
&#x017F;itzen ließ, oder ob er von ihnen verla&#x017F;&#x017F;en werde. Gleich¬<lb/>
viel, &#x017F;ein Uhrgehänge klirrte und blitzte, daß es eine Art<lb/>
hatte, und er galt für den gefährlich&#x017F;ten Cavalier der<lb/>
Armee, wenn er im Krei&#x017F;e der Herren Kameraden die<lb/>
Ge&#x017F;chichte der einzelnen Merkwürdigkeiten erzählte und<lb/>
die Juwelen und Perlen &#x017F;treichelte, die &#x017F;ich darunter<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0366] das gleiche zu thun, wie wenn ſie noch zwanzig Jahre alt wäre. Voll Schrecken erwachte ſie aus ihrer ſüßen Verirrung, die ſie nun doch nicht recht bereuen konnte; ſie machte ſich haſtig aus ſeinen Armen frei, und während ſie ihn mit feuchten Augen nochmals anſah, drückte ſie ihm zitternd das Opalherz in die Hand und bat ihn, ſie doch gleich zu verlaſſen. Dann lehnte ſie ſich mit gefalteten Händen in ihren Seſſel zurück, um ſich von dem höchſt ſeltſamen Erlebniſſe zu erholen. Als Thibaut die neue Trophäe an der Uhr befeſtigt hatte, dünkte ihm die Berlocke mit drei Herzen nunmehr ſtattlich genug zu ſein, um ſie endlich auszuhängen; auch kam es ihm gerade recht, daß er an eine Offiziersſtelle in Paris verſetzt wurde; denn nur dieſe Stadt konnte fortan der rechte Schauplatz ſeiner ferneren Thaten ſein. Und es fehlte ihm nicht an Eroberungen und Protectionen, die ihm bald eine eigene Compagnie verſchafften, deren Capitän er wurde. Allein je vornehmer die Damen waren, deren Eroberung er machte, und je koſtbarer die Kleinödchen, die er an ſeine Uhrkette hing, deſto unklarer wurde es ihm, ob er eigentlich es ſei, der die Schönen ſitzen ließ, oder ob er von ihnen verlaſſen werde. Gleich¬ viel, ſein Uhrgehänge klirrte und blitzte, daß es eine Art hatte, und er galt für den gefährlichſten Cavalier der Armee, wenn er im Kreiſe der Herren Kameraden die Geſchichte der einzelnen Merkwürdigkeiten erzählte und die Juwelen und Perlen ſtreichelte, die ſich darunter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/366
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/366>, abgerufen am 02.09.2024.