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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Uhr, als er mit den andern Jungen in einem großen
Omnibus nach Paris zurückfuhr und sie die erhaltenen
Geschenke sich gegenseitig zeigten. Es war auf der Rück¬
seite in einem Kranze von Rocaille ein kleiner Seehafen
gravirt, in dessen Hintergrunde die Sonne aufging und
ihre Strahlenlinien sehr fein und gleichmäßig nach allen
Seiten ausbreitete. Das Innere der Schale aber zeigte
sich gar mit einer bunten Malerei emailliert; ein winziges
Amphitritchen fuhr in seinem Wagen, von Wasserpferden
gezogen, auf den grünen Wellen einher, von einem rosen¬
farbigen Schleier umwallt, und auf dem blauen Himmel
stand ein weißes Wölkchen. Im Vordergrunde gab es
noch Tritonen und Nereiden.

Als alle die Herrlichkeiten genugsam bewundert worden
und auch die freundlichen Worte der künftigen Königin
besprochen und commentirt, brachte auch Thibaut vor,
was sie ihm gesagt, und er setzte hinzu: "Wenn ich nur
wüßte, was ihre königliche Hoheit damit meinte, daß ich
die Berlocken selbst erobern müsse!"

"Ha!" rief ein Standartenjunker von der Reiterei,
"das ist doch klar, es bedeutet, daß Sie sich die Berlocken
aus kleinen Andenken von Damen herstellen sollen, deren
Herzen Sie geraubt haben! Je mehr, je besser!"

"Ich möchte doch nicht behaupten, daß die Frau
Dauphine so Etwas gemeint hat," wandte ein anderer
Junge schüchtern ein, "ich glaube eher, sie wollte sagen,
Monsieur de Vallormes möge sich die nöthigen Bijoux

Uhr, als er mit den andern Jungen in einem großen
Omnibus nach Paris zurückfuhr und ſie die erhaltenen
Geſchenke ſich gegenſeitig zeigten. Es war auf der Rück¬
ſeite in einem Kranze von Rocaille ein kleiner Seehafen
gravirt, in deſſen Hintergrunde die Sonne aufging und
ihre Strahlenlinien ſehr fein und gleichmäßig nach allen
Seiten ausbreitete. Das Innere der Schale aber zeigte
ſich gar mit einer bunten Malerei emailliert; ein winziges
Amphitritchen fuhr in ſeinem Wagen, von Waſſerpferden
gezogen, auf den grünen Wellen einher, von einem roſen¬
farbigen Schleier umwallt, und auf dem blauen Himmel
ſtand ein weißes Wölkchen. Im Vordergrunde gab es
noch Tritonen und Nereiden.

Als alle die Herrlichkeiten genugſam bewundert worden
und auch die freundlichen Worte der künftigen Königin
beſprochen und commentirt, brachte auch Thibaut vor,
was ſie ihm geſagt, und er ſetzte hinzu: „Wenn ich nur
wüßte, was ihre königliche Hoheit damit meinte, daß ich
die Berlocken ſelbſt erobern müſſe!“

„Ha!“ rief ein Standartenjunker von der Reiterei,
„das iſt doch klar, es bedeutet, daß Sie ſich die Berlocken
aus kleinen Andenken von Damen herſtellen ſollen, deren
Herzen Sie geraubt haben! Je mehr, je beſſer!“

„Ich möchte doch nicht behaupten, daß die Frau
Dauphine ſo Etwas gemeint hat,“ wandte ein anderer
Junge ſchüchtern ein, „ich glaube eher, ſie wollte ſagen,
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[347/0357] Uhr, als er mit den andern Jungen in einem großen Omnibus nach Paris zurückfuhr und ſie die erhaltenen Geſchenke ſich gegenſeitig zeigten. Es war auf der Rück¬ ſeite in einem Kranze von Rocaille ein kleiner Seehafen gravirt, in deſſen Hintergrunde die Sonne aufging und ihre Strahlenlinien ſehr fein und gleichmäßig nach allen Seiten ausbreitete. Das Innere der Schale aber zeigte ſich gar mit einer bunten Malerei emailliert; ein winziges Amphitritchen fuhr in ſeinem Wagen, von Waſſerpferden gezogen, auf den grünen Wellen einher, von einem roſen¬ farbigen Schleier umwallt, und auf dem blauen Himmel ſtand ein weißes Wölkchen. Im Vordergrunde gab es noch Tritonen und Nereiden. Als alle die Herrlichkeiten genugſam bewundert worden und auch die freundlichen Worte der künftigen Königin beſprochen und commentirt, brachte auch Thibaut vor, was ſie ihm geſagt, und er ſetzte hinzu: „Wenn ich nur wüßte, was ihre königliche Hoheit damit meinte, daß ich die Berlocken ſelbſt erobern müſſe!“ „Ha!“ rief ein Standartenjunker von der Reiterei, „das iſt doch klar, es bedeutet, daß Sie ſich die Berlocken aus kleinen Andenken von Damen herſtellen ſollen, deren Herzen Sie geraubt haben! Je mehr, je beſſer!“ „Ich möchte doch nicht behaupten, daß die Frau Dauphine ſo Etwas gemeint hat,“ wandte ein anderer Junge ſchüchtern ein, „ich glaube eher, ſie wollte ſagen, Monſieur de Vallormes möge ſich die nöthigen Bijoux

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/357>, abgerufen am 25.11.2024.