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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Wellen in zahllosen Legionen heranrauschten und die
Schiffe ruhig weiter trugen.

"Hat das Meer auch eine Seele und ist es auch frei?"
fragte die Frau.

"Nein," antwortete Don Correa, "es gehorcht nur
dem Schöpfer und den Winden, die sein Athem sind!
Nun aber sage mir, Maria, wenn Du ehedem Deine
Freiheit gekannt hättest, würdest Du mir auch Deine
Hand gereicht haben?"

"Du frägst zu spät", erwiderte sie mit nicht unfeinem
Lächeln; "ich bin jetzt Dein und kann nicht anders, wie
das Meer!"

Da sie aber sah, daß diese Antwort ihn nicht be¬
friedigte und nicht seiner Hoffnung entsprach, blickte sie
ihm ernst und hochaufgerichtet in die Augen und gab ihm
mit freier und sicherer Bewegung die rechte Hand.

[Abbildung]

Wellen in zahlloſen Legionen heranrauſchten und die
Schiffe ruhig weiter trugen.

„Hat das Meer auch eine Seele und iſt es auch frei?“
fragte die Frau.

„Nein,“ antwortete Don Correa, „es gehorcht nur
dem Schöpfer und den Winden, die ſein Athem ſind!
Nun aber ſage mir, Maria, wenn Du ehedem Deine
Freiheit gekannt hätteſt, würdeſt Du mir auch Deine
Hand gereicht haben?“

„Du frägſt zu ſpät“, erwiderte ſie mit nicht unfeinem
Lächeln; „ich bin jetzt Dein und kann nicht anders, wie
das Meer!“

Da ſie aber ſah, daß dieſe Antwort ihn nicht be¬
friedigte und nicht ſeiner Hoffnung entſprach, blickte ſie
ihm ernſt und hochaufgerichtet in die Augen und gab ihm
mit freier und ſicherer Bewegung die rechte Hand.

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[343/0353] Wellen in zahlloſen Legionen heranrauſchten und die Schiffe ruhig weiter trugen. „Hat das Meer auch eine Seele und iſt es auch frei?“ fragte die Frau. „Nein,“ antwortete Don Correa, „es gehorcht nur dem Schöpfer und den Winden, die ſein Athem ſind! Nun aber ſage mir, Maria, wenn Du ehedem Deine Freiheit gekannt hätteſt, würdeſt Du mir auch Deine Hand gereicht haben?“ „Du frägſt zu ſpät“, erwiderte ſie mit nicht unfeinem Lächeln; „ich bin jetzt Dein und kann nicht anders, wie das Meer!“ Da ſie aber ſah, daß dieſe Antwort ihn nicht be¬ friedigte und nicht ſeiner Hoffnung entſprach, blickte ſie ihm ernſt und hochaufgerichtet in die Augen und gab ihm mit freier und ſicherer Bewegung die rechte Hand. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/353>, abgerufen am 22.11.2024.