Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

gehen, ob er nirgends die Zambo erblicken könne. Und
das Glück wollte, daß es geschah. In einiger Höhe schauten
hinter einem hölzernen Gitter zwei Frauengesichter her¬
unter, wovon das eine, noch im weltlichen Haarschmuck
und ohne Schleier, niemand Anderem als der dunkeln
Zambo angehörte.

Kaum hatte Luis sie erkannt, so trieb er unvermerkt
den Esel näher, bis das graue Thierchen unter dem Fenster
stand; und nun fing Jener aus Leibeskräften an zu rufen:
"Kauft, hochwürdige Damen! Kauft frische Orangen für
den Durst! Sie sind gesund, wie die Aerzte sagen, und
preiswürdig! Für ein halbes Soundsoviel und ein viertel
Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige
Frauen, und erlabt Euch, so vergeßt Ihr die Gefahr!
Das Neueste ist, daß Niemand in den Hafen von Cadix
einfahren darf, der aus der Ferne herkommt. Nehmt die
Orangen geschenkt, fromme Frau Mutter! Gestern mußte
der Vicekönig von Angola, der berühmte und prächtige
Don Salvador Correa, der tapfere Erstürmer so vieler
Festungen, unverrichteter Dinge aus unserem Gewässer
abziehen. Ich sah seine Schiffe; er sei nach Lissabon
gefahren, heißt es, und werde einige Zeit sich dort auf¬
halten! Er soll ein gar schöner und stolzer Herr sein,
sagt man; aber solche Leute sind oftmals die allerleut¬
seligsten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die
Orangen ab, so kann ich nach Hause!"

Alles das rief der kecke Bursche so vernehmlich als

gehen, ob er nirgends die Zambo erblicken könne. Und
das Glück wollte, daß es geſchah. In einiger Höhe ſchauten
hinter einem hölzernen Gitter zwei Frauengeſichter her¬
unter, wovon das eine, noch im weltlichen Haarſchmuck
und ohne Schleier, niemand Anderem als der dunkeln
Zambo angehörte.

Kaum hatte Luis ſie erkannt, ſo trieb er unvermerkt
den Eſel näher, bis das graue Thierchen unter dem Fenſter
ſtand; und nun fing Jener aus Leibeskräften an zu rufen:
„Kauft, hochwürdige Damen! Kauft friſche Orangen für
den Durſt! Sie ſind geſund, wie die Aerzte ſagen, und
preiswürdig! Für ein halbes Soundſoviel und ein viertel
Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige
Frauen, und erlabt Euch, ſo vergeßt Ihr die Gefahr!
Das Neueſte iſt, daß Niemand in den Hafen von Cadix
einfahren darf, der aus der Ferne herkommt. Nehmt die
Orangen geſchenkt, fromme Frau Mutter! Geſtern mußte
der Vicekönig von Angola, der berühmte und prächtige
Don Salvador Correa, der tapfere Erſtürmer ſo vieler
Feſtungen, unverrichteter Dinge aus unſerem Gewäſſer
abziehen. Ich ſah ſeine Schiffe; er ſei nach Liſſabon
gefahren, heißt es, und werde einige Zeit ſich dort auf¬
halten! Er ſoll ein gar ſchöner und ſtolzer Herr ſein,
ſagt man; aber ſolche Leute ſind oftmals die allerleut¬
ſeligſten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die
Orangen ab, ſo kann ich nach Hauſe!“

Alles das rief der kecke Burſche ſo vernehmlich als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0341" n="331"/>
gehen, ob er nirgends die Zambo erblicken könne. Und<lb/>
das Glück wollte, daß es ge&#x017F;chah. In einiger Höhe &#x017F;chauten<lb/>
hinter einem hölzernen Gitter zwei Frauenge&#x017F;ichter her¬<lb/>
unter, wovon das eine, noch im weltlichen Haar&#x017F;chmuck<lb/>
und ohne Schleier, niemand Anderem als der dunkeln<lb/>
Zambo angehörte.</p><lb/>
          <p>Kaum hatte Luis &#x017F;ie erkannt, &#x017F;o trieb er unvermerkt<lb/>
den E&#x017F;el näher, bis das graue Thierchen unter dem Fen&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;tand; und nun fing Jener aus Leibeskräften an zu rufen:<lb/>
&#x201E;Kauft, hochwürdige Damen! Kauft fri&#x017F;che Orangen für<lb/>
den Dur&#x017F;t! Sie &#x017F;ind ge&#x017F;und, wie die Aerzte &#x017F;agen, und<lb/>
preiswürdig! Für ein halbes Sound&#x017F;oviel und ein viertel<lb/>
Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige<lb/>
Frauen, und erlabt Euch, &#x017F;o vergeßt Ihr die Gefahr!<lb/>
Das Neue&#x017F;te i&#x017F;t, daß Niemand in den Hafen von Cadix<lb/>
einfahren darf, der aus der Ferne herkommt. Nehmt die<lb/>
Orangen ge&#x017F;chenkt, fromme Frau Mutter! Ge&#x017F;tern mußte<lb/>
der Vicekönig von Angola, der berühmte und prächtige<lb/>
Don Salvador Correa, der tapfere Er&#x017F;türmer &#x017F;o vieler<lb/>
Fe&#x017F;tungen, unverrichteter Dinge aus un&#x017F;erem Gewä&#x017F;&#x017F;er<lb/>
abziehen. Ich &#x017F;ah &#x017F;eine Schiffe; er &#x017F;ei nach Li&#x017F;&#x017F;abon<lb/>
gefahren, heißt es, und werde einige Zeit &#x017F;ich dort auf¬<lb/>
halten! Er &#x017F;oll ein gar &#x017F;chöner und &#x017F;tolzer Herr &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;agt man; aber &#x017F;olche Leute &#x017F;ind oftmals die allerleut¬<lb/>
&#x017F;elig&#x017F;ten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die<lb/>
Orangen ab, &#x017F;o kann ich nach Hau&#x017F;e!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Alles das rief der kecke Bur&#x017F;che &#x017F;o vernehmlich als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0341] gehen, ob er nirgends die Zambo erblicken könne. Und das Glück wollte, daß es geſchah. In einiger Höhe ſchauten hinter einem hölzernen Gitter zwei Frauengeſichter her¬ unter, wovon das eine, noch im weltlichen Haarſchmuck und ohne Schleier, niemand Anderem als der dunkeln Zambo angehörte. Kaum hatte Luis ſie erkannt, ſo trieb er unvermerkt den Eſel näher, bis das graue Thierchen unter dem Fenſter ſtand; und nun fing Jener aus Leibeskräften an zu rufen: „Kauft, hochwürdige Damen! Kauft friſche Orangen für den Durſt! Sie ſind geſund, wie die Aerzte ſagen, und preiswürdig! Für ein halbes Soundſoviel und ein viertel Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige Frauen, und erlabt Euch, ſo vergeßt Ihr die Gefahr! Das Neueſte iſt, daß Niemand in den Hafen von Cadix einfahren darf, der aus der Ferne herkommt. Nehmt die Orangen geſchenkt, fromme Frau Mutter! Geſtern mußte der Vicekönig von Angola, der berühmte und prächtige Don Salvador Correa, der tapfere Erſtürmer ſo vieler Feſtungen, unverrichteter Dinge aus unſerem Gewäſſer abziehen. Ich ſah ſeine Schiffe; er ſei nach Liſſabon gefahren, heißt es, und werde einige Zeit ſich dort auf¬ halten! Er ſoll ein gar ſchöner und ſtolzer Herr ſein, ſagt man; aber ſolche Leute ſind oftmals die allerleut¬ ſeligſten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die Orangen ab, ſo kann ich nach Hauſe!“ Alles das rief der kecke Burſche ſo vernehmlich als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/341
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/341>, abgerufen am 22.11.2024.