Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

hinein und trägt gewiß keinen Spiegel in der Tasche,
wie sonst die Herren aus der Stadt, denen man kaum
den Rücken drehen darf, so holen sie den Spiegel hervor
und beschauen sich schnell in einer Ecke! Wie Sie aber
das Heugespräch führten und dabei Augen machten wie
die Katze, die um den heißen Brei herum geht, dacht' ich:
es ist doch ein Schulmeister von Art!"

"Sie fallen ja aus der Rolle und sagen mir Un¬
höflichkeiten!"

"Es wird gleich wieder besser kommen! Sie haben
eine so tüchtige Manier, daß man froh ist, Sie zu
nehmen, wie Sie sind, da wir armen Menschen uns ja
doch unser Leben lang mit dem Schein begnügen müssen,
und nicht nach dem Kern fragen dürfen. So betrachte
ich Sie auch als einen schönen Schein, der vorüber geht
und sein Schöppchen trinkt, und ich benutze sogar recht
gern diesen Scherz, um Ihnen in allem Ernste zu sagen,
daß Sie mir recht wohl gefallen! Denn so steht es in
meinem Belieben!"

"Daß ich Ihnen gefalle?"

"Nein, daß ich es sagen mag!"

"Sie sind ja der Teufel im Mieder! Ein starker Geist
mit langen Haaren?"

"Sie glaubten wohl nicht, daß wir hier auch geschliffene
Zungen haben?"

"Ei, als Sie vorhin den Hafer siebten, sah ich, daß
Sie eine handfeste und zugleich anmuthige Dame sind!

hinein und trägt gewiß keinen Spiegel in der Taſche,
wie ſonſt die Herren aus der Stadt, denen man kaum
den Rücken drehen darf, ſo holen ſie den Spiegel hervor
und beſchauen ſich ſchnell in einer Ecke! Wie Sie aber
das Heugeſpräch führten und dabei Augen machten wie
die Katze, die um den heißen Brei herum geht, dacht' ich:
es iſt doch ein Schulmeiſter von Art!“

„Sie fallen ja aus der Rolle und ſagen mir Un¬
höflichkeiten!“

„Es wird gleich wieder beſſer kommen! Sie haben
eine ſo tüchtige Manier, daß man froh iſt, Sie zu
nehmen, wie Sie ſind, da wir armen Menſchen uns ja
doch unſer Leben lang mit dem Schein begnügen müſſen,
und nicht nach dem Kern fragen dürfen. So betrachte
ich Sie auch als einen ſchönen Schein, der vorüber geht
und ſein Schöppchen trinkt, und ich benutze ſogar recht
gern dieſen Scherz, um Ihnen in allem Ernſte zu ſagen,
daß Sie mir recht wohl gefallen! Denn ſo ſteht es in
meinem Belieben!“

„Daß ich Ihnen gefalle?“

„Nein, daß ich es ſagen mag!“

„Sie ſind ja der Teufel im Mieder! Ein ſtarker Geiſt
mit langen Haaren?“

„Sie glaubten wohl nicht, daß wir hier auch geſchliffene
Zungen haben?“

„Ei, als Sie vorhin den Hafer ſiebten, ſah ich, daß
Sie eine handfeſte und zugleich anmuthige Dame ſind!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="24"/>
hinein und trägt gewiß keinen Spiegel in der Ta&#x017F;che,<lb/>
wie &#x017F;on&#x017F;t die Herren aus der Stadt, denen man kaum<lb/>
den Rücken drehen darf, &#x017F;o holen &#x017F;ie den Spiegel hervor<lb/>
und be&#x017F;chauen &#x017F;ich &#x017F;chnell in einer Ecke! Wie Sie aber<lb/>
das Heuge&#x017F;präch führten und dabei Augen machten wie<lb/>
die Katze, die um den heißen Brei herum geht, dacht' ich:<lb/>
es i&#x017F;t doch ein Schulmei&#x017F;ter von Art!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie fallen ja aus der Rolle und &#x017F;agen mir Un¬<lb/>
höflichkeiten!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es wird gleich wieder be&#x017F;&#x017F;er kommen! Sie haben<lb/>
eine &#x017F;o tüchtige Manier, daß man froh i&#x017F;t, Sie zu<lb/>
nehmen, wie Sie &#x017F;ind, da wir armen Men&#x017F;chen uns ja<lb/>
doch un&#x017F;er Leben lang mit dem Schein begnügen mü&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und nicht nach dem Kern fragen dürfen. So betrachte<lb/>
ich Sie auch als einen &#x017F;chönen Schein, der vorüber geht<lb/>
und &#x017F;ein Schöppchen trinkt, und ich benutze &#x017F;ogar recht<lb/>
gern die&#x017F;en Scherz, um Ihnen in allem Ern&#x017F;te zu &#x017F;agen,<lb/>
daß Sie mir recht wohl gefallen! Denn &#x017F;o &#x017F;teht es in<lb/>
meinem Belieben!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Daß ich Ihnen gefalle?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nein, daß ich es &#x017F;agen mag!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind ja der Teufel im Mieder! Ein &#x017F;tarker Gei&#x017F;t<lb/>
mit langen Haaren?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie glaubten wohl nicht, daß wir hier auch ge&#x017F;chliffene<lb/>
Zungen haben?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ei, als Sie vorhin den Hafer &#x017F;iebten, &#x017F;ah ich, daß<lb/>
Sie eine handfe&#x017F;te und zugleich anmuthige Dame &#x017F;ind!<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] hinein und trägt gewiß keinen Spiegel in der Taſche, wie ſonſt die Herren aus der Stadt, denen man kaum den Rücken drehen darf, ſo holen ſie den Spiegel hervor und beſchauen ſich ſchnell in einer Ecke! Wie Sie aber das Heugeſpräch führten und dabei Augen machten wie die Katze, die um den heißen Brei herum geht, dacht' ich: es iſt doch ein Schulmeiſter von Art!“ „Sie fallen ja aus der Rolle und ſagen mir Un¬ höflichkeiten!“ „Es wird gleich wieder beſſer kommen! Sie haben eine ſo tüchtige Manier, daß man froh iſt, Sie zu nehmen, wie Sie ſind, da wir armen Menſchen uns ja doch unſer Leben lang mit dem Schein begnügen müſſen, und nicht nach dem Kern fragen dürfen. So betrachte ich Sie auch als einen ſchönen Schein, der vorüber geht und ſein Schöppchen trinkt, und ich benutze ſogar recht gern dieſen Scherz, um Ihnen in allem Ernſte zu ſagen, daß Sie mir recht wohl gefallen! Denn ſo ſteht es in meinem Belieben!“ „Daß ich Ihnen gefalle?“ „Nein, daß ich es ſagen mag!“ „Sie ſind ja der Teufel im Mieder! Ein ſtarker Geiſt mit langen Haaren?“ „Sie glaubten wohl nicht, daß wir hier auch geſchliffene Zungen haben?“ „Ei, als Sie vorhin den Hafer ſiebten, ſah ich, daß Sie eine handfeſte und zugleich anmuthige Dame ſind!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/34
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/34>, abgerufen am 24.11.2024.