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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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daß der Neffe wieder einmal einen wunderlichen Heiraths¬
streich im Schilde führe, und hatte um so größere Ursache,
ihn daran hindern zu helfen, als sie längst mit einer
rühmlicheren Verbindung für ihn beschäftigt war und nur
auf den Augenblick lauerte.

Der Admiral und Regent oder Vicekönig von Angola
legte sich noch in der gleichen Nacht den Vorwand zurecht,
die Reise nach Europa auszudehnen und am Hofe zu
Lissabon über den Stand und die Zukunft der afrikanischen
Angelegenheiten persönlich zu berichten, und am nächsten
Tage ging er mit zwei Schiffen ostwärts unter Segel,
ohne das Ziel der Fahrt bekannt zu machen. Mit großer
Ungeduld sah er die Tage und Wochen vergehen, obgleich
er mit dem günstigsten Wind und Wetter segelte, und als
er endlich in den Golf von Cadix abbiegen konnte, fand
er die Bai und den Hafen durch Wachtschiffe verschlossen,
weil die Pest in der Stadt hauste.

Dieser neue Unstern steigerte seinen Unmuth und die
Besorgniß für die arme Zambo auf's Höchste, zum Glück
aber auch seine Besonnenheit. Da er wegen der auf ihm
lastenden Verantwortung sowie bei der sicheren Nutzlosig¬
keit überhaupt nicht daran denken konnte, seine Person
auf spanischem Boden auszusetzen, beschloß er, vorerst die
Fahrt nach Lissabon zu beendigen und nur den Knaben
Luis auf Kundschaft zu schicken. Er vertraute demselben,
der die Zambo kannte und von ihr gekannt war, sein
Geheimniß ganz an, ließ ihn das Gewand eines zerlumpten

daß der Neffe wieder einmal einen wunderlichen Heiraths¬
ſtreich im Schilde führe, und hatte um ſo größere Urſache,
ihn daran hindern zu helfen, als ſie längſt mit einer
rühmlicheren Verbindung für ihn beſchäftigt war und nur
auf den Augenblick lauerte.

Der Admiral und Regent oder Vicekönig von Angola
legte ſich noch in der gleichen Nacht den Vorwand zurecht,
die Reiſe nach Europa auszudehnen und am Hofe zu
Liſſabon über den Stand und die Zukunft der afrikaniſchen
Angelegenheiten perſönlich zu berichten, und am nächſten
Tage ging er mit zwei Schiffen oſtwärts unter Segel,
ohne das Ziel der Fahrt bekannt zu machen. Mit großer
Ungeduld ſah er die Tage und Wochen vergehen, obgleich
er mit dem günſtigſten Wind und Wetter ſegelte, und als
er endlich in den Golf von Cadix abbiegen konnte, fand
er die Bai und den Hafen durch Wachtſchiffe verſchloſſen,
weil die Peſt in der Stadt hauſte.

Dieſer neue Unſtern ſteigerte ſeinen Unmuth und die
Beſorgniß für die arme Zambo auf's Höchſte, zum Glück
aber auch ſeine Beſonnenheit. Da er wegen der auf ihm
laſtenden Verantwortung ſowie bei der ſicheren Nutzloſig¬
keit überhaupt nicht daran denken konnte, ſeine Perſon
auf ſpaniſchem Boden auszuſetzen, beſchloß er, vorerſt die
Fahrt nach Liſſabon zu beendigen und nur den Knaben
Luis auf Kundſchaft zu ſchicken. Er vertraute demſelben,
der die Zambo kannte und von ihr gekannt war, ſein
Geheimniß ganz an, ließ ihn das Gewand eines zerlumpten

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[328/0338] daß der Neffe wieder einmal einen wunderlichen Heiraths¬ ſtreich im Schilde führe, und hatte um ſo größere Urſache, ihn daran hindern zu helfen, als ſie längſt mit einer rühmlicheren Verbindung für ihn beſchäftigt war und nur auf den Augenblick lauerte. Der Admiral und Regent oder Vicekönig von Angola legte ſich noch in der gleichen Nacht den Vorwand zurecht, die Reiſe nach Europa auszudehnen und am Hofe zu Liſſabon über den Stand und die Zukunft der afrikaniſchen Angelegenheiten perſönlich zu berichten, und am nächſten Tage ging er mit zwei Schiffen oſtwärts unter Segel, ohne das Ziel der Fahrt bekannt zu machen. Mit großer Ungeduld ſah er die Tage und Wochen vergehen, obgleich er mit dem günſtigſten Wind und Wetter ſegelte, und als er endlich in den Golf von Cadix abbiegen konnte, fand er die Bai und den Hafen durch Wachtſchiffe verſchloſſen, weil die Peſt in der Stadt hauſte. Dieſer neue Unſtern ſteigerte ſeinen Unmuth und die Beſorgniß für die arme Zambo auf's Höchſte, zum Glück aber auch ſeine Beſonnenheit. Da er wegen der auf ihm laſtenden Verantwortung ſowie bei der ſicheren Nutzloſig¬ keit überhaupt nicht daran denken konnte, ſeine Perſon auf ſpaniſchem Boden auszuſetzen, beſchloß er, vorerſt die Fahrt nach Liſſabon zu beendigen und nur den Knaben Luis auf Kundſchaft zu ſchicken. Er vertraute demſelben, der die Zambo kannte und von ihr gekannt war, ſein Geheimniß ganz an, ließ ihn das Gewand eines zerlumpten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/338>, abgerufen am 25.11.2024.