Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Muth, als er das Alles anhörte. Die Alte aber schloß
mit den Worten: "Item, man hätte nicht gedacht, daß sie
so schnöde weglaufen würde!"

Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in
seine Wohnung, um sich nur etwas zu sammeln. Denn
er, der sonst in Entschluß und That nie zu zögern pflegte,
sah sich diesem Geheimnisse gegenüber durchaus ohnmächtig
und unentschlossen. Die Dienstverhältnisse erlaubten ihm
nicht, lang in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er
aber die Stadt und das Land, so verlor er jede Hoffnung,
die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land
und Leute zu erobern gewohnt war, sah sich außer Stand,
das unschuldigste und bescheidenste Heirathsproject aus¬
zuführen.

Als er in solchen düsteren Betrachtungen das Haus
erreicht hatte und eben in seinem Cabinette Degen und
Handschuhe auf den Tisch warf, kam sein Page Luis vor¬
sichtig hereingeschlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht
zu bringen. Es war ein vierzehnjähriger aufgeweckter
Knabe und seinem Herrn so ergeben und vertraut, daß
dieser ihn für sicherer und zuverlässiger hielt, als alle
anderen Diener, und ihm auch sonst wegen seines an¬
muthigen Wesens herzlich wohl wollte. Luis hinter¬
brachte also nun, als er so von ungefähr in der Straße
geschlendert sei, habe ihn die Frau des Nachbars, eines
alten französischen Schiffsherrn, die für eine heimliche
Protestantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der

Muth, als er das Alles anhörte. Die Alte aber ſchloß
mit den Worten: „Item, man hätte nicht gedacht, daß ſie
ſo ſchnöde weglaufen würde!“

Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in
ſeine Wohnung, um ſich nur etwas zu ſammeln. Denn
er, der ſonſt in Entſchluß und That nie zu zögern pflegte,
ſah ſich dieſem Geheimniſſe gegenüber durchaus ohnmächtig
und unentſchloſſen. Die Dienſtverhältniſſe erlaubten ihm
nicht, lang in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er
aber die Stadt und das Land, ſo verlor er jede Hoffnung,
die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land
und Leute zu erobern gewohnt war, ſah ſich außer Stand,
das unſchuldigſte und beſcheidenſte Heirathsproject aus¬
zuführen.

Als er in ſolchen düſteren Betrachtungen das Haus
erreicht hatte und eben in ſeinem Cabinette Degen und
Handſchuhe auf den Tiſch warf, kam ſein Page Luis vor¬
ſichtig hereingeſchlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht
zu bringen. Es war ein vierzehnjähriger aufgeweckter
Knabe und ſeinem Herrn ſo ergeben und vertraut, daß
dieſer ihn für ſicherer und zuverläſſiger hielt, als alle
anderen Diener, und ihm auch ſonſt wegen ſeines an¬
muthigen Weſens herzlich wohl wollte. Luis hinter¬
brachte alſo nun, als er ſo von ungefähr in der Straße
geſchlendert ſei, habe ihn die Frau des Nachbars, eines
alten franzöſiſchen Schiffsherrn, die für eine heimliche
Proteſtantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0336" n="326"/>
Muth, als er das Alles anhörte. Die Alte aber &#x017F;chloß<lb/>
mit den Worten: &#x201E;Item, man hätte nicht gedacht, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chnöde weglaufen würde!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in<lb/>
&#x017F;eine Wohnung, um &#x017F;ich nur etwas zu &#x017F;ammeln. Denn<lb/>
er, der &#x017F;on&#x017F;t in Ent&#x017F;chluß und That nie zu zögern pflegte,<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;ich die&#x017F;em Geheimni&#x017F;&#x017F;e gegenüber durchaus ohnmächtig<lb/>
und unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Die Dien&#x017F;tverhältni&#x017F;&#x017F;e erlaubten ihm<lb/>
nicht, lang in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er<lb/>
aber die Stadt und das Land, &#x017F;o verlor er jede Hoffnung,<lb/>
die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land<lb/>
und Leute zu erobern gewohnt war, &#x017F;ah &#x017F;ich außer Stand,<lb/>
das un&#x017F;chuldig&#x017F;te und be&#x017F;cheiden&#x017F;te Heirathsproject aus¬<lb/>
zuführen.</p><lb/>
          <p>Als er in &#x017F;olchen dü&#x017F;teren Betrachtungen das Haus<lb/>
erreicht hatte und eben in &#x017F;einem Cabinette Degen und<lb/>
Hand&#x017F;chuhe auf den Ti&#x017F;ch warf, kam &#x017F;ein Page Luis vor¬<lb/>
&#x017F;ichtig hereinge&#x017F;chlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht<lb/>
zu bringen. Es war ein vierzehnjähriger aufgeweckter<lb/>
Knabe und &#x017F;einem Herrn &#x017F;o ergeben und vertraut, daß<lb/>
die&#x017F;er ihn für &#x017F;icherer und zuverlä&#x017F;&#x017F;iger hielt, als alle<lb/>
anderen Diener, und ihm auch &#x017F;on&#x017F;t wegen &#x017F;eines an¬<lb/>
muthigen We&#x017F;ens herzlich wohl wollte. Luis hinter¬<lb/>
brachte al&#x017F;o nun, als er &#x017F;o von ungefähr in der Straße<lb/>
ge&#x017F;chlendert &#x017F;ei, habe ihn die Frau des Nachbars, eines<lb/>
alten franzö&#x017F;i&#x017F;chen Schiffsherrn, die für eine heimliche<lb/>
Prote&#x017F;tantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0336] Muth, als er das Alles anhörte. Die Alte aber ſchloß mit den Worten: „Item, man hätte nicht gedacht, daß ſie ſo ſchnöde weglaufen würde!“ Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in ſeine Wohnung, um ſich nur etwas zu ſammeln. Denn er, der ſonſt in Entſchluß und That nie zu zögern pflegte, ſah ſich dieſem Geheimniſſe gegenüber durchaus ohnmächtig und unentſchloſſen. Die Dienſtverhältniſſe erlaubten ihm nicht, lang in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er aber die Stadt und das Land, ſo verlor er jede Hoffnung, die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land und Leute zu erobern gewohnt war, ſah ſich außer Stand, das unſchuldigſte und beſcheidenſte Heirathsproject aus¬ zuführen. Als er in ſolchen düſteren Betrachtungen das Haus erreicht hatte und eben in ſeinem Cabinette Degen und Handſchuhe auf den Tiſch warf, kam ſein Page Luis vor¬ ſichtig hereingeſchlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht zu bringen. Es war ein vierzehnjähriger aufgeweckter Knabe und ſeinem Herrn ſo ergeben und vertraut, daß dieſer ihn für ſicherer und zuverläſſiger hielt, als alle anderen Diener, und ihm auch ſonſt wegen ſeines an¬ muthigen Weſens herzlich wohl wollte. Luis hinter¬ brachte alſo nun, als er ſo von ungefähr in der Straße geſchlendert ſei, habe ihn die Frau des Nachbars, eines alten franzöſiſchen Schiffsherrn, die für eine heimliche Proteſtantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/336
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/336>, abgerufen am 22.11.2024.