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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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vielleicht wendete sie sich, ohne es zu wissen, noch einmal
der verschollenen Selene zu, ehe sie der goldenen Göttin
folgte, an deren Altar sie heute gestanden, kurz, sie streckte
wie um Schutz flehend die Hand nach dem Gestirn aus.

Da faßte Jemand sänftlich diese Hand; es war Don
Correa, der vorsichtig an sie herangetreten und ihr die¬
selbe Hand auf den Mund legte, zum Zeichen, daß sie
schweigen solle. Dann streifte er einen schimmernden Ring
an ihren Finger und küßte sie schnell auf den Mund,
worauf er ebenso ungesehen hinweg schritt, als er gekommen
war. Bald nachher ging die kleine Gesellschaft auseinander
und Zambo kehrte mit ihrer Beschützerin in deren Be¬
hausung zurück.

Am nächsten Tage schon ließ der Admiral zwei seiner
Schiffe unter Segel gehen, die er nicht mehr brauchte,
und sandte sie mit Depeschen, das eine nach Brasilien,
das andere nach Portugal. Auf demjenigen, das nach
Brasilien ging, hatte er in der Frühe bereits die Zambo
nebst einer Dienerin untergebracht und dem Befehlshaber
auf die Seele gebunden. Die Schwester seiner längst
verstorbenen Mutter lebte in Janeiro als Aebtissin
eines Conventes von Dominikanerinnen. Dieser anver¬
traute er die Zambo mit einem Briefe, worin er die
vornehme Klosterfrau bat, das getaufte Heidenkind in den
klösterlichen Schutz aufzunehmen, mit christlicher Sitte und
guter Lebensart bekannt zu machen und es aber für die
Rückkehr in die Welt bereit zu halten, alles unter Zu¬

Keller, Sinngedicht. 21

vielleicht wendete ſie ſich, ohne es zu wiſſen, noch einmal
der verſchollenen Selene zu, ehe ſie der goldenen Göttin
folgte, an deren Altar ſie heute geſtanden, kurz, ſie ſtreckte
wie um Schutz flehend die Hand nach dem Geſtirn aus.

Da faßte Jemand ſänftlich dieſe Hand; es war Don
Correa, der vorſichtig an ſie herangetreten und ihr die¬
ſelbe Hand auf den Mund legte, zum Zeichen, daß ſie
ſchweigen ſolle. Dann ſtreifte er einen ſchimmernden Ring
an ihren Finger und küßte ſie ſchnell auf den Mund,
worauf er ebenſo ungeſehen hinweg ſchritt, als er gekommen
war. Bald nachher ging die kleine Geſellſchaft auseinander
und Zambo kehrte mit ihrer Beſchützerin in deren Be¬
hauſung zurück.

Am nächſten Tage ſchon ließ der Admiral zwei ſeiner
Schiffe unter Segel gehen, die er nicht mehr brauchte,
und ſandte ſie mit Depeſchen, das eine nach Braſilien,
das andere nach Portugal. Auf demjenigen, das nach
Braſilien ging, hatte er in der Frühe bereits die Zambo
nebſt einer Dienerin untergebracht und dem Befehlshaber
auf die Seele gebunden. Die Schweſter ſeiner längſt
verſtorbenen Mutter lebte in Janeiro als Aebtiſſin
eines Conventes von Dominikanerinnen. Dieſer anver¬
traute er die Zambo mit einem Briefe, worin er die
vornehme Kloſterfrau bat, das getaufte Heidenkind in den
klöſterlichen Schutz aufzunehmen, mit chriſtlicher Sitte und
guter Lebensart bekannt zu machen und es aber für die
Rückkehr in die Welt bereit zu halten, alles unter Zu¬

Keller, Sinngedicht. 21
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[321/0331] vielleicht wendete ſie ſich, ohne es zu wiſſen, noch einmal der verſchollenen Selene zu, ehe ſie der goldenen Göttin folgte, an deren Altar ſie heute geſtanden, kurz, ſie ſtreckte wie um Schutz flehend die Hand nach dem Geſtirn aus. Da faßte Jemand ſänftlich dieſe Hand; es war Don Correa, der vorſichtig an ſie herangetreten und ihr die¬ ſelbe Hand auf den Mund legte, zum Zeichen, daß ſie ſchweigen ſolle. Dann ſtreifte er einen ſchimmernden Ring an ihren Finger und küßte ſie ſchnell auf den Mund, worauf er ebenſo ungeſehen hinweg ſchritt, als er gekommen war. Bald nachher ging die kleine Geſellſchaft auseinander und Zambo kehrte mit ihrer Beſchützerin in deren Be¬ hauſung zurück. Am nächſten Tage ſchon ließ der Admiral zwei ſeiner Schiffe unter Segel gehen, die er nicht mehr brauchte, und ſandte ſie mit Depeſchen, das eine nach Braſilien, das andere nach Portugal. Auf demjenigen, das nach Braſilien ging, hatte er in der Frühe bereits die Zambo nebſt einer Dienerin untergebracht und dem Befehlshaber auf die Seele gebunden. Die Schweſter ſeiner längſt verſtorbenen Mutter lebte in Janeiro als Aebtiſſin eines Conventes von Dominikanerinnen. Dieſer anver¬ traute er die Zambo mit einem Briefe, worin er die vornehme Kloſterfrau bat, das getaufte Heidenkind in den klöſterlichen Schutz aufzunehmen, mit chriſtlicher Sitte und guter Lebensart bekannt zu machen und es aber für die Rückkehr in die Welt bereit zu halten, alles unter Zu¬ Keller, Sinngedicht. 21

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/331>, abgerufen am 25.11.2024.