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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch
gegeben, auf Eueren Irrfahrten so bald durchgebracht,
daß Ihr in Euerem mottenzerfressenen Bettlermantel
wieder vor mir steht?"

Er überlegte einen Augenblick, was sie eigentlich gesagt
habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und
Liebevolles sei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde
werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit
zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen
Worten:

"Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie
es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich
weggeschickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem
Sessel steht? Hat dieser nicht ausgerichtet, daß er ent¬
lassen sei? Und wer ist der fremde Herr, den ich an
meinem Tische so breit da sitzen sehe, ohne mein Vor¬
wissen?"

Die Dienstleute blickten alle halb spöttisch, halb
ängstlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick
auf sein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem
Leder mit großen Messingschnallen in der Fensternische hing.

Feniza aber sagte mit schnippischen und schnöden
Worten:

"Dieser Tisch ist, so viel mir bewußt, mein Tisch,
und es sitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, statt
zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei ist, und
stärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch

Keller, Sinngedicht. 19

Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch
gegeben, auf Eueren Irrfahrten ſo bald durchgebracht,
daß Ihr in Euerem mottenzerfreſſenen Bettlermantel
wieder vor mir ſteht?“

Er überlegte einen Augenblick, was ſie eigentlich geſagt
habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und
Liebevolles ſei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde
werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit
zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen
Worten:

„Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie
es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich
weggeſchickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem
Seſſel ſteht? Hat dieſer nicht ausgerichtet, daß er ent¬
laſſen ſei? Und wer iſt der fremde Herr, den ich an
meinem Tiſche ſo breit da ſitzen ſehe, ohne mein Vor¬
wiſſen?“

Die Dienſtleute blickten alle halb ſpöttiſch, halb
ängſtlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick
auf ſein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem
Leder mit großen Meſſingſchnallen in der Fenſterniſche hing.

Feniza aber ſagte mit ſchnippiſchen und ſchnöden
Worten:

„Dieſer Tiſch iſt, ſo viel mir bewußt, mein Tiſch,
und es ſitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, ſtatt
zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei iſt, und
ſtärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch

Keller, Sinngedicht. 19
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[289/0299] Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch gegeben, auf Eueren Irrfahrten ſo bald durchgebracht, daß Ihr in Euerem mottenzerfreſſenen Bettlermantel wieder vor mir ſteht?“ Er überlegte einen Augenblick, was ſie eigentlich geſagt habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und Liebevolles ſei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen Worten: „Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich weggeſchickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem Seſſel ſteht? Hat dieſer nicht ausgerichtet, daß er ent¬ laſſen ſei? Und wer iſt der fremde Herr, den ich an meinem Tiſche ſo breit da ſitzen ſehe, ohne mein Vor¬ wiſſen?“ Die Dienſtleute blickten alle halb ſpöttiſch, halb ängſtlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick auf ſein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem Leder mit großen Meſſingſchnallen in der Fenſterniſche hing. Feniza aber ſagte mit ſchnippiſchen und ſchnöden Worten: „Dieſer Tiſch iſt, ſo viel mir bewußt, mein Tiſch, und es ſitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, ſtatt zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei iſt, und ſtärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch Keller, Sinngedicht. 19

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/299>, abgerufen am 25.11.2024.