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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Hildeburg gab ähnlichen Gefühlen Ausdruck, indem sie
ausrief: "Nun ist Alles gut, nun sind wir Alle wieder
beisammen!"

Mannelin vollends war unverkennbar glücklich und
zufrieden, die Dinge so zu finden, da er schon gefürchtet
haben mochte, zu spät zu kommen; denn er wußte, daß
er irriger Weise für todt ausgegeben worden. Er war
aber nicht so unrettbar verletzt gewesen und jetzt leidlich
geheilt; doch hatte er einen mindestens halbjährigen
Urlaub antreten müssen, um sich ganz zu erholen. Schon
wieder mit Büchern versehen war er auf dem Wege nach
einem Badeort mit heißen Quellen begriffen und hielt
kurze Einkehr in der Universitätsstadt. Erst auf dem
Landgute des Bankherren hatte er heute vernommen, daß
ich ebenfalls im Lande sei. Mannelin hatte durch den
Kriegsdienst sich sehr vortheilhaft verändert, was das
Aeußere betrifft. Ohne gerade martialisch drein zu schauen,
hatte er doch an fester Haltung gewonnen. Sein leichter
blonder Bart auf Wangen und Oberlippe erhielt durch
den Ernst der Ereignisse und Abenteuer, der in den
Augen und auf dem Munde sich gelagert hatte, eine
größere Bedeutung, als ihm sonst zugekommen wäre, und
das militärische Wissen und Erfahren, um welches er
reicher geworden, vereinigte sich vortrefflich mit seinem
wissenschaftlichen Geiste. Aber ungeachtet er die be¬
deutendsten Kriegsthaten mitgemacht und zahlreichere Ge¬
fechte und Gefahren bestanden, als ich, hörte man ihn

Hildeburg gab ähnlichen Gefühlen Ausdruck, indem ſie
ausrief: „Nun iſt Alles gut, nun ſind wir Alle wieder
beiſammen!“

Mannelin vollends war unverkennbar glücklich und
zufrieden, die Dinge ſo zu finden, da er ſchon gefürchtet
haben mochte, zu ſpät zu kommen; denn er wußte, daß
er irriger Weiſe für todt ausgegeben worden. Er war
aber nicht ſo unrettbar verletzt geweſen und jetzt leidlich
geheilt; doch hatte er einen mindeſtens halbjährigen
Urlaub antreten müſſen, um ſich ganz zu erholen. Schon
wieder mit Büchern verſehen war er auf dem Wege nach
einem Badeort mit heißen Quellen begriffen und hielt
kurze Einkehr in der Univerſitätsſtadt. Erſt auf dem
Landgute des Bankherren hatte er heute vernommen, daß
ich ebenfalls im Lande ſei. Mannelin hatte durch den
Kriegsdienſt ſich ſehr vortheilhaft verändert, was das
Aeußere betrifft. Ohne gerade martialiſch drein zu ſchauen,
hatte er doch an feſter Haltung gewonnen. Sein leichter
blonder Bart auf Wangen und Oberlippe erhielt durch
den Ernſt der Ereigniſſe und Abenteuer, der in den
Augen und auf dem Munde ſich gelagert hatte, eine
größere Bedeutung, als ihm ſonſt zugekommen wäre, und
das militäriſche Wiſſen und Erfahren, um welches er
reicher geworden, vereinigte ſich vortrefflich mit ſeinem
wiſſenſchaftlichen Geiſte. Aber ungeachtet er die be¬
deutendſten Kriegsthaten mitgemacht und zahlreichere Ge¬
fechte und Gefahren beſtanden, als ich, hörte man ihn

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[236/0246] Hildeburg gab ähnlichen Gefühlen Ausdruck, indem ſie ausrief: „Nun iſt Alles gut, nun ſind wir Alle wieder beiſammen!“ Mannelin vollends war unverkennbar glücklich und zufrieden, die Dinge ſo zu finden, da er ſchon gefürchtet haben mochte, zu ſpät zu kommen; denn er wußte, daß er irriger Weiſe für todt ausgegeben worden. Er war aber nicht ſo unrettbar verletzt geweſen und jetzt leidlich geheilt; doch hatte er einen mindeſtens halbjährigen Urlaub antreten müſſen, um ſich ganz zu erholen. Schon wieder mit Büchern verſehen war er auf dem Wege nach einem Badeort mit heißen Quellen begriffen und hielt kurze Einkehr in der Univerſitätsſtadt. Erſt auf dem Landgute des Bankherren hatte er heute vernommen, daß ich ebenfalls im Lande ſei. Mannelin hatte durch den Kriegsdienſt ſich ſehr vortheilhaft verändert, was das Aeußere betrifft. Ohne gerade martialiſch drein zu ſchauen, hatte er doch an feſter Haltung gewonnen. Sein leichter blonder Bart auf Wangen und Oberlippe erhielt durch den Ernſt der Ereigniſſe und Abenteuer, der in den Augen und auf dem Munde ſich gelagert hatte, eine größere Bedeutung, als ihm ſonſt zugekommen wäre, und das militäriſche Wiſſen und Erfahren, um welches er reicher geworden, vereinigte ſich vortrefflich mit ſeinem wiſſenſchaftlichen Geiſte. Aber ungeachtet er die be¬ deutendſten Kriegsthaten mitgemacht und zahlreichere Ge¬ fechte und Gefahren beſtanden, als ich, hörte man ihn

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/246>, abgerufen am 25.11.2024.