Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Schon zum Leutenant vorgerückt, war er so zu sagen fast
auf dem Pflaster jener Stadt noch schwer verwundet
worden und lag, als ich seine Spuren suchte, unerreichbar
in einem entlegenen Lazareth. Es hieß sogar, er werde
bereits gestorben sein, als ich meine Nachforschungen fort¬
setzte; da widerstrebte es mir, mich von seinem Tode zu
überzeugen, um an geweihter Stätte des Kampfes und
Sieges nicht die nackte Selbstsucht in mir aufkommen zu
lassen. Denn seit Streit und Mühsal aufgehört hatten
und die Friedenspalmen winkten, waren auch die Gedanken
an das verhexte Liebeswesen wieder stärker wach geworden,
und ich blieb absichtlich im Dunkeln über Mannelin's
Tod, damit ich nicht gleich wie ein Wechselgläubiger vor
das schöne Mädchen zu treten, versucht würde, an dessen
Verheißung, den Ueberlebenden zu heirathen, ich fest
glaubte.

Im Monat Mai des Jahres 1814, zur Zeit wo das
lange Rheinthal blühte wie ein einziger Fliederbusch, zog
unser Regiment über den Strom ostwärts; es bekam aber
den Befehl, in der Rheingegend Halt zu machen, um die
ferneren Umstände abzuwarten, wie wir denn auch bald
nachher nach der Lombardei gesandt wurden. Die
Schwadron, in der ich ritt, kam aber nirgends anders
hin zu stehen, als in unsere gute Universitätsstadt. Mit
welchen Gedanken sah ich die Pferde in den Marstall
und die Reitbahn stellen, in denen sich der Student so
oft getummelt hatte! Und als ich mein Quartier im

Schon zum Leutenant vorgerückt, war er ſo zu ſagen faſt
auf dem Pflaſter jener Stadt noch ſchwer verwundet
worden und lag, als ich ſeine Spuren ſuchte, unerreichbar
in einem entlegenen Lazareth. Es hieß ſogar, er werde
bereits geſtorben ſein, als ich meine Nachforſchungen fort¬
ſetzte; da widerſtrebte es mir, mich von ſeinem Tode zu
überzeugen, um an geweihter Stätte des Kampfes und
Sieges nicht die nackte Selbſtſucht in mir aufkommen zu
laſſen. Denn ſeit Streit und Mühſal aufgehört hatten
und die Friedenspalmen winkten, waren auch die Gedanken
an das verhexte Liebesweſen wieder ſtärker wach geworden,
und ich blieb abſichtlich im Dunkeln über Mannelin's
Tod, damit ich nicht gleich wie ein Wechſelgläubiger vor
das ſchöne Mädchen zu treten, verſucht würde, an deſſen
Verheißung, den Ueberlebenden zu heirathen, ich feſt
glaubte.

Im Monat Mai des Jahres 1814, zur Zeit wo das
lange Rheinthal blühte wie ein einziger Fliederbuſch, zog
unſer Regiment über den Strom oſtwärts; es bekam aber
den Befehl, in der Rheingegend Halt zu machen, um die
ferneren Umſtände abzuwarten, wie wir denn auch bald
nachher nach der Lombardei geſandt wurden. Die
Schwadron, in der ich ritt, kam aber nirgends anders
hin zu ſtehen, als in unſere gute Univerſitätsſtadt. Mit
welchen Gedanken ſah ich die Pferde in den Marſtall
und die Reitbahn ſtellen, in denen ſich der Student ſo
oft getummelt hatte! Und als ich mein Quartier im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="230"/>
Schon zum Leutenant vorgerückt, war er &#x017F;o zu &#x017F;agen fa&#x017F;t<lb/>
auf dem Pfla&#x017F;ter jener Stadt noch &#x017F;chwer verwundet<lb/>
worden und lag, als ich &#x017F;eine Spuren &#x017F;uchte, unerreichbar<lb/>
in einem entlegenen Lazareth. Es hieß &#x017F;ogar, er werde<lb/>
bereits ge&#x017F;torben &#x017F;ein, als ich meine Nachfor&#x017F;chungen fort¬<lb/>
&#x017F;etzte; da wider&#x017F;trebte es mir, mich von &#x017F;einem Tode zu<lb/>
überzeugen, um an geweihter Stätte des Kampfes und<lb/>
Sieges nicht die nackte Selb&#x017F;t&#x017F;ucht in mir aufkommen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Denn &#x017F;eit Streit und Müh&#x017F;al aufgehört hatten<lb/>
und die Friedenspalmen winkten, waren auch die Gedanken<lb/>
an das verhexte Liebeswe&#x017F;en wieder &#x017F;tärker wach geworden,<lb/>
und ich blieb ab&#x017F;ichtlich im Dunkeln über Mannelin's<lb/>
Tod, damit ich nicht gleich wie ein Wech&#x017F;elgläubiger vor<lb/>
das &#x017F;chöne Mädchen zu treten, ver&#x017F;ucht würde, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Verheißung, den Ueberlebenden zu heirathen, ich fe&#x017F;t<lb/>
glaubte.</p><lb/>
          <p>Im Monat Mai des Jahres 1814, zur Zeit wo das<lb/>
lange Rheinthal blühte wie ein einziger Fliederbu&#x017F;ch, zog<lb/>
un&#x017F;er Regiment über den Strom o&#x017F;twärts; es bekam aber<lb/>
den Befehl, in der Rheingegend Halt zu machen, um die<lb/>
ferneren Um&#x017F;tände abzuwarten, wie wir denn auch bald<lb/>
nachher nach der Lombardei ge&#x017F;andt wurden. Die<lb/>
Schwadron, in der ich ritt, kam aber nirgends anders<lb/>
hin zu &#x017F;tehen, als in un&#x017F;ere gute Univer&#x017F;itäts&#x017F;tadt. Mit<lb/>
welchen Gedanken &#x017F;ah ich die Pferde in den Mar&#x017F;tall<lb/>
und die Reitbahn &#x017F;tellen, in denen &#x017F;ich der Student &#x017F;o<lb/>
oft getummelt hatte! Und als ich mein Quartier im<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0240] Schon zum Leutenant vorgerückt, war er ſo zu ſagen faſt auf dem Pflaſter jener Stadt noch ſchwer verwundet worden und lag, als ich ſeine Spuren ſuchte, unerreichbar in einem entlegenen Lazareth. Es hieß ſogar, er werde bereits geſtorben ſein, als ich meine Nachforſchungen fort¬ ſetzte; da widerſtrebte es mir, mich von ſeinem Tode zu überzeugen, um an geweihter Stätte des Kampfes und Sieges nicht die nackte Selbſtſucht in mir aufkommen zu laſſen. Denn ſeit Streit und Mühſal aufgehört hatten und die Friedenspalmen winkten, waren auch die Gedanken an das verhexte Liebesweſen wieder ſtärker wach geworden, und ich blieb abſichtlich im Dunkeln über Mannelin's Tod, damit ich nicht gleich wie ein Wechſelgläubiger vor das ſchöne Mädchen zu treten, verſucht würde, an deſſen Verheißung, den Ueberlebenden zu heirathen, ich feſt glaubte. Im Monat Mai des Jahres 1814, zur Zeit wo das lange Rheinthal blühte wie ein einziger Fliederbuſch, zog unſer Regiment über den Strom oſtwärts; es bekam aber den Befehl, in der Rheingegend Halt zu machen, um die ferneren Umſtände abzuwarten, wie wir denn auch bald nachher nach der Lombardei geſandt wurden. Die Schwadron, in der ich ritt, kam aber nirgends anders hin zu ſtehen, als in unſere gute Univerſitätsſtadt. Mit welchen Gedanken ſah ich die Pferde in den Marſtall und die Reitbahn ſtellen, in denen ſich der Student ſo oft getummelt hatte! Und als ich mein Quartier im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/240
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/240>, abgerufen am 24.11.2024.