Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Zehntes Capitel.
Die Geisterseher .

"Ihr Herr Brandolf ist ja ein Ausbund von einem
edlen und wohlmögenden Frauenwähler!" sagte Lucie, als
Reinhart die verarmte Baronin in seiner Erzählung zu
Glück und Ehren gebracht hatte; "aber sind Sie auch
sicher, daß dieser Erkieser seines Weibes nicht ein wenig
das Spiel des Zufalls war, oder am Ende selbst eher
gewählt wurde, während er zu wählen glaubte?"

"Wie so?" fragte Reinhart.

"Ich meine nur!" erwiderte Lucie; "haben Sie auch
alle Umstände ordentlich aufgefaßt und wiedergegeben, und
nichts übersehen, was auf eine bescheidene Einwirkung, ein
kleines Verfahren der guten Frau von Lohausen hindeuten
ließe?"

"Kennen Sie die Leute, oder haben Sie sonst schon
von der Geschichte gehört?"

"Ich? Nicht im Mindesten! Ich höre heute zum
ersten Male davon reden."

"Nun, wenn Sie also keine andere Quelle kennen, so

Zehntes Capitel.
Die Geiſterſeher .

Ihr Herr Brandolf iſt ja ein Ausbund von einem
edlen und wohlmögenden Frauenwähler!“ ſagte Lucie, als
Reinhart die verarmte Baronin in ſeiner Erzählung zu
Glück und Ehren gebracht hatte; „aber ſind Sie auch
ſicher, daß dieſer Erkieſer ſeines Weibes nicht ein wenig
das Spiel des Zufalls war, oder am Ende ſelbſt eher
gewählt wurde, während er zu wählen glaubte?“

„Wie ſo?“ fragte Reinhart.

„Ich meine nur!“ erwiderte Lucie; „haben Sie auch
alle Umſtände ordentlich aufgefaßt und wiedergegeben, und
nichts überſehen, was auf eine beſcheidene Einwirkung, ein
kleines Verfahren der guten Frau von Lohauſen hindeuten
ließe?“

„Kennen Sie die Leute, oder haben Sie ſonſt ſchon
von der Geſchichte gehört?“

„Ich? Nicht im Mindeſten! Ich höre heute zum
erſten Male davon reden.“

„Nun, wenn Sie alſo keine andere Quelle kennen, ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0226" n="[216]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zehntes Capitel.</hi><lb/> <hi rendition="#b #g">Die Gei&#x017F;ter&#x017F;eher</hi> <hi rendition="#g">.</hi><lb/>
          </head>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#in">I</hi>hr Herr Brandolf i&#x017F;t ja ein Ausbund von einem<lb/>
edlen und wohlmögenden Frauenwähler!&#x201C; &#x017F;agte Lucie, als<lb/>
Reinhart die verarmte Baronin in &#x017F;einer Erzählung zu<lb/>
Glück und Ehren gebracht hatte; &#x201E;aber &#x017F;ind Sie auch<lb/>
&#x017F;icher, daß die&#x017F;er Erkie&#x017F;er &#x017F;eines Weibes nicht ein wenig<lb/>
das Spiel des Zufalls war, oder am Ende &#x017F;elb&#x017F;t eher<lb/>
gewählt wurde, während er zu wählen glaubte?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wie &#x017F;o?&#x201C; fragte Reinhart.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich meine nur!&#x201C; erwiderte Lucie; &#x201E;haben Sie auch<lb/>
alle Um&#x017F;tände ordentlich aufgefaßt und wiedergegeben, und<lb/>
nichts über&#x017F;ehen, was auf eine be&#x017F;cheidene Einwirkung, ein<lb/>
kleines Verfahren der guten Frau von Lohau&#x017F;en hindeuten<lb/>
ließe?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Kennen Sie die Leute, oder haben Sie &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
von der Ge&#x017F;chichte gehört?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich? Nicht im Minde&#x017F;ten! Ich höre heute zum<lb/>
er&#x017F;ten Male davon reden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nun, wenn Sie al&#x017F;o keine andere Quelle kennen, &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[216]/0226] Zehntes Capitel. Die Geiſterſeher . „Ihr Herr Brandolf iſt ja ein Ausbund von einem edlen und wohlmögenden Frauenwähler!“ ſagte Lucie, als Reinhart die verarmte Baronin in ſeiner Erzählung zu Glück und Ehren gebracht hatte; „aber ſind Sie auch ſicher, daß dieſer Erkieſer ſeines Weibes nicht ein wenig das Spiel des Zufalls war, oder am Ende ſelbſt eher gewählt wurde, während er zu wählen glaubte?“ „Wie ſo?“ fragte Reinhart. „Ich meine nur!“ erwiderte Lucie; „haben Sie auch alle Umſtände ordentlich aufgefaßt und wiedergegeben, und nichts überſehen, was auf eine beſcheidene Einwirkung, ein kleines Verfahren der guten Frau von Lohauſen hindeuten ließe?“ „Kennen Sie die Leute, oder haben Sie ſonſt ſchon von der Geſchichte gehört?“ „Ich? Nicht im Mindeſten! Ich höre heute zum erſten Male davon reden.“ „Nun, wenn Sie alſo keine andere Quelle kennen, ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/226
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. [216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/226>, abgerufen am 23.11.2024.