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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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auf einem Leiterwagen, und zwei Stunden später in der
Nacht im Gefängnißthurme der Kreishauptstadt. Es erging
ihnen jedoch nicht so übel. Vielmehr wurden sie am
Morgen vorgerufen und befragt, ob sie mit Kleidern,
Wäsche, Reisegeld und Schriften hinreichend versehen, unter
Ueberwachung der Polizei nach der neuen Welt auswandern
wollten, und drei Tage nachher reisten sie schon in Begleit
eines Polizeiagenten, der Geld und Pässe auf sich trug,
nach dem Seehafen. Der Agent verließ sie erst in dem
Augenblicke, als das Schiff die Anker lichtete.

Hedwig erfuhr den ganzen Hergang erst, als sie eines
Tages, ein schönes jähriges Knäblein auf dem Schoße
haltend, die Sorge aussprach, daß das Kind einst seinen
bösen Oheimen in die Hände laufen oder gar die Bekannt¬
schaft des häßlichen Schwendtner machen könnte. Jetzt
erst erzählte ihr der Mann den harten Spaß, den er sich
damals mit den Herren erlaubt. Entsetzt schaute sie
auf, das Kind wie zum Schutze gegen unbekannte Ge¬
fahren an sich druckend; allein er beruhigte und tröstete
sie sogleich mit der Nachricht, daß laut Briefen, die er
zu verschaffen gewußt, die drei Gesellen nach ihrer An¬
kunft in Amerika, wie umgewandelt, sich sofort getrennt
hätten. Ja, der Einfall habe die merkwürdigste Wirkung
auf sie gethan; jeder von den Dreien sei in dem ameri¬
kanischen Wirbel aufrecht schwimmend dahin getrieben
und an einem bescheidenen sichern Ufer gelandet, wo er
sich halte. Einer sei ein stiller Bierzapfer in der Nähe

auf einem Leiterwagen, und zwei Stunden ſpäter in der
Nacht im Gefängnißthurme der Kreishauptſtadt. Es erging
ihnen jedoch nicht ſo übel. Vielmehr wurden ſie am
Morgen vorgerufen und befragt, ob ſie mit Kleidern,
Wäſche, Reiſegeld und Schriften hinreichend verſehen, unter
Ueberwachung der Polizei nach der neuen Welt auswandern
wollten, und drei Tage nachher reiſten ſie ſchon in Begleit
eines Polizeiagenten, der Geld und Päſſe auf ſich trug,
nach dem Seehafen. Der Agent verließ ſie erſt in dem
Augenblicke, als das Schiff die Anker lichtete.

Hedwig erfuhr den ganzen Hergang erſt, als ſie eines
Tages, ein ſchönes jähriges Knäblein auf dem Schoße
haltend, die Sorge ausſprach, daß das Kind einſt ſeinen
böſen Oheimen in die Hände laufen oder gar die Bekannt¬
ſchaft des häßlichen Schwendtner machen könnte. Jetzt
erſt erzählte ihr der Mann den harten Spaß, den er ſich
damals mit den Herren erlaubt. Entſetzt ſchaute ſie
auf, das Kind wie zum Schutze gegen unbekannte Ge¬
fahren an ſich druckend; allein er beruhigte und tröſtete
ſie ſogleich mit der Nachricht, daß laut Briefen, die er
zu verſchaffen gewußt, die drei Geſellen nach ihrer An¬
kunft in Amerika, wie umgewandelt, ſich ſofort getrennt
hätten. Ja, der Einfall habe die merkwürdigſte Wirkung
auf ſie gethan; jeder von den Dreien ſei in dem ameri¬
kaniſchen Wirbel aufrecht ſchwimmend dahin getrieben
und an einem beſcheidenen ſichern Ufer gelandet, wo er
ſich halte. Einer ſei ein ſtiller Bierzapfer in der Nähe

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[214/0224] auf einem Leiterwagen, und zwei Stunden ſpäter in der Nacht im Gefängnißthurme der Kreishauptſtadt. Es erging ihnen jedoch nicht ſo übel. Vielmehr wurden ſie am Morgen vorgerufen und befragt, ob ſie mit Kleidern, Wäſche, Reiſegeld und Schriften hinreichend verſehen, unter Ueberwachung der Polizei nach der neuen Welt auswandern wollten, und drei Tage nachher reiſten ſie ſchon in Begleit eines Polizeiagenten, der Geld und Päſſe auf ſich trug, nach dem Seehafen. Der Agent verließ ſie erſt in dem Augenblicke, als das Schiff die Anker lichtete. Hedwig erfuhr den ganzen Hergang erſt, als ſie eines Tages, ein ſchönes jähriges Knäblein auf dem Schoße haltend, die Sorge ausſprach, daß das Kind einſt ſeinen böſen Oheimen in die Hände laufen oder gar die Bekannt¬ ſchaft des häßlichen Schwendtner machen könnte. Jetzt erſt erzählte ihr der Mann den harten Spaß, den er ſich damals mit den Herren erlaubt. Entſetzt ſchaute ſie auf, das Kind wie zum Schutze gegen unbekannte Ge¬ fahren an ſich druckend; allein er beruhigte und tröſtete ſie ſogleich mit der Nachricht, daß laut Briefen, die er zu verſchaffen gewußt, die drei Geſellen nach ihrer An¬ kunft in Amerika, wie umgewandelt, ſich ſofort getrennt hätten. Ja, der Einfall habe die merkwürdigſte Wirkung auf ſie gethan; jeder von den Dreien ſei in dem ameri¬ kaniſchen Wirbel aufrecht ſchwimmend dahin getrieben und an einem beſcheidenen ſichern Ufer gelandet, wo er ſich halte. Einer ſei ein ſtiller Bierzapfer in der Nähe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/224>, abgerufen am 25.11.2024.