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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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da sie allen Ernstes glaubten eine Hauptrolle spielen zu
müssen bei irgend einem dummen Teufel von Gutsbesitzer,
und die Geistertöne drangen schon unheimlich über den
Wald her, hinter welchem sie verborgen saßen. Inzwischen
hatte die Weinlese seit einigen Tagen begonnen und nahte
dem Schlusse. Außer den eigenen zahlreichen Werkleuten
waren viele fröhliche Bauernjungen und Mädchen zuge¬
zogen, die Herrschaftshäuser von Köchen und Köchinnen,
Aufwärtern und andern Dienern aus der Stadt besetzt
und ein Theil der Hochzeitgäste auch schon eingerückt,
während eine gute Ballmusik noch erwartet wurde.

So kam nun der große Festtag heran, von der goldig
mildesten Octobersonne geleitet, welche einen Duftschleier
nach dem andern von der Erde hob und zerfließen ließ,
bis alles Gelände mit Bäumen und Hügeln in warmem
Farbenschmucke erglänzte und die Ferne ringsherum in
geheimnißvollem Blau eine glückverheißende Zukunft dar¬
stellte. Im Hauptgebäude war Vormittags die Trauung,
bei welcher schon die feine Musik aus den offenen Fenstern
tönte. Dann folgte das Festmahl der Hochzeitgäste,
indeß die Winzer und die eingeladenen Landleute im
Freien tafelten und nach einer tapfern Landmusik bereits
tanzten. Gegen Abend jedoch, als die Sonne immer
lieblicher ihre Bahn abwärts ging, fand nun der große
Aufzug der Winzer statt, an welchem die drei Kujone
mitzuwirken berufen waren. Der Zug bestand freilich
in nicht viel anderem, als daß die Winzer und Kelterer

da ſie allen Ernſtes glaubten eine Hauptrolle ſpielen zu
müſſen bei irgend einem dummen Teufel von Gutsbeſitzer,
und die Geiſtertöne drangen ſchon unheimlich über den
Wald her, hinter welchem ſie verborgen ſaßen. Inzwiſchen
hatte die Weinleſe ſeit einigen Tagen begonnen und nahte
dem Schluſſe. Außer den eigenen zahlreichen Werkleuten
waren viele fröhliche Bauernjungen und Mädchen zuge¬
zogen, die Herrſchaftshäuſer von Köchen und Köchinnen,
Aufwärtern und andern Dienern aus der Stadt beſetzt
und ein Theil der Hochzeitgäſte auch ſchon eingerückt,
während eine gute Ballmuſik noch erwartet wurde.

So kam nun der große Feſttag heran, von der goldig
mildeſten Octoberſonne geleitet, welche einen Duftſchleier
nach dem andern von der Erde hob und zerfließen ließ,
bis alles Gelände mit Bäumen und Hügeln in warmem
Farbenſchmucke erglänzte und die Ferne ringsherum in
geheimnißvollem Blau eine glückverheißende Zukunft dar¬
ſtellte. Im Hauptgebäude war Vormittags die Trauung,
bei welcher ſchon die feine Muſik aus den offenen Fenſtern
tönte. Dann folgte das Feſtmahl der Hochzeitgäſte,
indeß die Winzer und die eingeladenen Landleute im
Freien tafelten und nach einer tapfern Landmuſik bereits
tanzten. Gegen Abend jedoch, als die Sonne immer
lieblicher ihre Bahn abwärts ging, fand nun der große
Aufzug der Winzer ſtatt, an welchem die drei Kujone
mitzuwirken berufen waren. Der Zug beſtand freilich
in nicht viel anderem, als daß die Winzer und Kelterer

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[208/0218] da ſie allen Ernſtes glaubten eine Hauptrolle ſpielen zu müſſen bei irgend einem dummen Teufel von Gutsbeſitzer, und die Geiſtertöne drangen ſchon unheimlich über den Wald her, hinter welchem ſie verborgen ſaßen. Inzwiſchen hatte die Weinleſe ſeit einigen Tagen begonnen und nahte dem Schluſſe. Außer den eigenen zahlreichen Werkleuten waren viele fröhliche Bauernjungen und Mädchen zuge¬ zogen, die Herrſchaftshäuſer von Köchen und Köchinnen, Aufwärtern und andern Dienern aus der Stadt beſetzt und ein Theil der Hochzeitgäſte auch ſchon eingerückt, während eine gute Ballmuſik noch erwartet wurde. So kam nun der große Feſttag heran, von der goldig mildeſten Octoberſonne geleitet, welche einen Duftſchleier nach dem andern von der Erde hob und zerfließen ließ, bis alles Gelände mit Bäumen und Hügeln in warmem Farbenſchmucke erglänzte und die Ferne ringsherum in geheimnißvollem Blau eine glückverheißende Zukunft dar¬ ſtellte. Im Hauptgebäude war Vormittags die Trauung, bei welcher ſchon die feine Muſik aus den offenen Fenſtern tönte. Dann folgte das Feſtmahl der Hochzeitgäſte, indeß die Winzer und die eingeladenen Landleute im Freien tafelten und nach einer tapfern Landmuſik bereits tanzten. Gegen Abend jedoch, als die Sonne immer lieblicher ihre Bahn abwärts ging, fand nun der große Aufzug der Winzer ſtatt, an welchem die drei Kujone mitzuwirken berufen waren. Der Zug beſtand freilich in nicht viel anderem, als daß die Winzer und Kelterer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/218>, abgerufen am 22.11.2024.