Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

und werde sie alsdann mit einem seidenen Faden am
feinen Knöchel anbinden, damit sie ihm nie mehr abhanden
komme. Doch müsse der Papa für ihn fragen und den
Korb einheimsen, den es allenfalls absetze.

Darauf schrieb der Alte zurück, er habe es sofort
gethan und augenblicklich ein Ja erhalten. Es sei auf
dem Wege zu dem großen Gemüsegarten geschehen, den
sie in so herrlichen Stand gebracht habe. Sie sei so
ehrlich und offen, daß sie sich nicht eine Secunde lang
zu zieren vermocht, sondern ihm gleich beide Hände zitternd
entgegen gestreckt habe, von einem ganz merkwürdig hin¬
gebenden und seelenvollen Ausdruck des schmalen Gesichtes
begleitet. Ja, ja, die kleine Hexe sei nicht nur nützlich,
sondern auch angenehm u. s. w.

Hierauf begann Brandolf allerhand kleine Briefchen
und große Geschenke an die Erwählte zu senden. Sie
antwortete eben so kurz; aber die Buchstaben flimmerten
von den Empfindungen, die darin lebten. Der Tag der
Verlobung wurde in den Monat Mai verlegt und die
Verwandten und Freunde geladen. Als Hauswirthin
hatte Hedwig die Pflicht und Freude, alle Vorbereitungen
zu treffen, und sie selbst war die Braut. Bei Brandolf's
Ankunft war sie ihm allein entgegen geeilt; so hatten sie
es verabredet. Er stieg aus dem Wagen und wandelte
mit ihr durch einen einsamen blumigen Wiesenpfad, auf
dessen Mitte er sie fest an sich drückte und sie an seinem
Halse hing, von den niederhängenden Aesten der weiß

und werde ſie alsdann mit einem ſeidenen Faden am
feinen Knöchel anbinden, damit ſie ihm nie mehr abhanden
komme. Doch müſſe der Papa für ihn fragen und den
Korb einheimſen, den es allenfalls abſetze.

Darauf ſchrieb der Alte zurück, er habe es ſofort
gethan und augenblicklich ein Ja erhalten. Es ſei auf
dem Wege zu dem großen Gemüſegarten geſchehen, den
ſie in ſo herrlichen Stand gebracht habe. Sie ſei ſo
ehrlich und offen, daß ſie ſich nicht eine Secunde lang
zu zieren vermocht, ſondern ihm gleich beide Hände zitternd
entgegen geſtreckt habe, von einem ganz merkwürdig hin¬
gebenden und ſeelenvollen Ausdruck des ſchmalen Geſichtes
begleitet. Ja, ja, die kleine Hexe ſei nicht nur nützlich,
ſondern auch angenehm u. ſ. w.

Hierauf begann Brandolf allerhand kleine Briefchen
und große Geſchenke an die Erwählte zu ſenden. Sie
antwortete eben ſo kurz; aber die Buchſtaben flimmerten
von den Empfindungen, die darin lebten. Der Tag der
Verlobung wurde in den Monat Mai verlegt und die
Verwandten und Freunde geladen. Als Hauswirthin
hatte Hedwig die Pflicht und Freude, alle Vorbereitungen
zu treffen, und ſie ſelbſt war die Braut. Bei Brandolf's
Ankunft war ſie ihm allein entgegen geeilt; ſo hatten ſie
es verabredet. Er ſtieg aus dem Wagen und wandelte
mit ihr durch einen einſamen blumigen Wieſenpfad, auf
deſſen Mitte er ſie feſt an ſich drückte und ſie an ſeinem
Halſe hing, von den niederhängenden Aeſten der weiß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0211" n="201"/>
und werde &#x017F;ie alsdann mit einem &#x017F;eidenen Faden am<lb/>
feinen Knöchel anbinden, damit &#x017F;ie ihm nie mehr abhanden<lb/>
komme. Doch mü&#x017F;&#x017F;e der Papa für ihn fragen und den<lb/>
Korb einheim&#x017F;en, den es allenfalls ab&#x017F;etze.</p><lb/>
          <p>Darauf &#x017F;chrieb der Alte zurück, er habe es &#x017F;ofort<lb/>
gethan und augenblicklich ein Ja erhalten. Es &#x017F;ei auf<lb/>
dem Wege zu dem großen Gemü&#x017F;egarten ge&#x017F;chehen, den<lb/>
&#x017F;ie in &#x017F;o herrlichen Stand gebracht habe. Sie &#x017F;ei &#x017F;o<lb/>
ehrlich und offen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht eine Secunde lang<lb/>
zu zieren vermocht, &#x017F;ondern ihm gleich beide Hände zitternd<lb/>
entgegen ge&#x017F;treckt habe, von einem ganz merkwürdig hin¬<lb/>
gebenden und &#x017F;eelenvollen Ausdruck des &#x017F;chmalen Ge&#x017F;ichtes<lb/>
begleitet. Ja, ja, die kleine Hexe &#x017F;ei nicht nur nützlich,<lb/>
&#x017F;ondern auch angenehm u. &#x017F;. w.</p><lb/>
          <p>Hierauf begann Brandolf allerhand kleine Briefchen<lb/>
und große Ge&#x017F;chenke an die Erwählte zu &#x017F;enden. Sie<lb/>
antwortete eben &#x017F;o kurz; aber die Buch&#x017F;taben flimmerten<lb/>
von den Empfindungen, die darin lebten. Der Tag der<lb/>
Verlobung wurde in den Monat Mai verlegt und die<lb/>
Verwandten und Freunde geladen. Als Hauswirthin<lb/>
hatte Hedwig die Pflicht und Freude, alle Vorbereitungen<lb/>
zu treffen, und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t war die Braut. Bei Brandolf's<lb/>
Ankunft war &#x017F;ie ihm allein entgegen geeilt; &#x017F;o hatten &#x017F;ie<lb/>
es verabredet. Er &#x017F;tieg aus dem Wagen und wandelte<lb/>
mit ihr durch einen ein&#x017F;amen blumigen Wie&#x017F;enpfad, auf<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Mitte er &#x017F;ie fe&#x017F;t an &#x017F;ich drückte und &#x017F;ie an &#x017F;einem<lb/>
Hal&#x017F;e hing, von den niederhängenden Ae&#x017F;ten der weiß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0211] und werde ſie alsdann mit einem ſeidenen Faden am feinen Knöchel anbinden, damit ſie ihm nie mehr abhanden komme. Doch müſſe der Papa für ihn fragen und den Korb einheimſen, den es allenfalls abſetze. Darauf ſchrieb der Alte zurück, er habe es ſofort gethan und augenblicklich ein Ja erhalten. Es ſei auf dem Wege zu dem großen Gemüſegarten geſchehen, den ſie in ſo herrlichen Stand gebracht habe. Sie ſei ſo ehrlich und offen, daß ſie ſich nicht eine Secunde lang zu zieren vermocht, ſondern ihm gleich beide Hände zitternd entgegen geſtreckt habe, von einem ganz merkwürdig hin¬ gebenden und ſeelenvollen Ausdruck des ſchmalen Geſichtes begleitet. Ja, ja, die kleine Hexe ſei nicht nur nützlich, ſondern auch angenehm u. ſ. w. Hierauf begann Brandolf allerhand kleine Briefchen und große Geſchenke an die Erwählte zu ſenden. Sie antwortete eben ſo kurz; aber die Buchſtaben flimmerten von den Empfindungen, die darin lebten. Der Tag der Verlobung wurde in den Monat Mai verlegt und die Verwandten und Freunde geladen. Als Hauswirthin hatte Hedwig die Pflicht und Freude, alle Vorbereitungen zu treffen, und ſie ſelbſt war die Braut. Bei Brandolf's Ankunft war ſie ihm allein entgegen geeilt; ſo hatten ſie es verabredet. Er ſtieg aus dem Wagen und wandelte mit ihr durch einen einſamen blumigen Wieſenpfad, auf deſſen Mitte er ſie feſt an ſich drückte und ſie an ſeinem Halſe hing, von den niederhängenden Aeſten der weiß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/211
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/211>, abgerufen am 24.11.2024.