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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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und gleich am nächsten Tage einziehen werde. Ohne die
mindeste Freudenbezeugung verbeugte sich die Baronin
ein bischen, von der er übrigens nicht viel sah, weil
sie wieder das verhüllende Tuch um Kopf und Hals
geschlagen hatte, einer Kapuze ähnlich, und eine Art
grauen Ueberwurfes trug, der sowol einen Mantel wie
einen Hausrock vorstellen konnte. Er eilte, die Veränderung
seinen bisherigen Wirthsleuten anzuzeigen. Die waren
sehr betrübt darüber, da sie noch nie einen so guten und
liebenswürdigen Miether bei sich gesehen hatten, und da
sie selbst ordentliche und wohlgesinnte Leute waren, so
nahm sich Brandolf's Entschluß doppelt unbegreiflich aus.
Sie konnten sich denselben auch nur dadurch erklären, daß
der Herr als ein reicher und unverheiratheter studierter
Mensch seine Launen und keine Sorgen habe, und also
sich nach Belieben den Hafer könne stechen lassen.

Erst als Brandolf seine Habseligkeiten in das neue
Losament gebracht hatte und sich dort einhaus'te, sah er
sich genöthigt, genauer auf die für solche Miethzimmer
ungewöhnliche Ausstattung zu achten. Es waren über¬
haupt nur drei nach der Straße gelegene Stuben; diese
schienen aber mit dem Hausrathe einer ganzen Familie
angefüllt zu sein und alles von theuren Stoffen und
Holzarten gearbeitet. Der Boden war mit bunten
Teppichen überall belegt, an manchen Stellen doppelt;
in jedem Zimmer standen Secretäre, feine Schränke,
Luxusmöbel, Spieltische und Spiegelgebäude, Sopha's

und gleich am nächſten Tage einziehen werde. Ohne die
mindeſte Freudenbezeugung verbeugte ſich die Baronin
ein bischen, von der er übrigens nicht viel ſah, weil
ſie wieder das verhüllende Tuch um Kopf und Hals
geſchlagen hatte, einer Kapuze ähnlich, und eine Art
grauen Ueberwurfes trug, der ſowol einen Mantel wie
einen Hausrock vorſtellen konnte. Er eilte, die Veränderung
ſeinen bisherigen Wirthsleuten anzuzeigen. Die waren
ſehr betrübt darüber, da ſie noch nie einen ſo guten und
liebenswürdigen Miether bei ſich geſehen hatten, und da
ſie ſelbſt ordentliche und wohlgeſinnte Leute waren, ſo
nahm ſich Brandolf's Entſchluß doppelt unbegreiflich aus.
Sie konnten ſich denſelben auch nur dadurch erklären, daß
der Herr als ein reicher und unverheiratheter ſtudierter
Menſch ſeine Launen und keine Sorgen habe, und alſo
ſich nach Belieben den Hafer könne ſtechen laſſen.

Erſt als Brandolf ſeine Habſeligkeiten in das neue
Loſament gebracht hatte und ſich dort einhauſ'te, ſah er
ſich genöthigt, genauer auf die für ſolche Miethzimmer
ungewöhnliche Ausſtattung zu achten. Es waren über¬
haupt nur drei nach der Straße gelegene Stuben; dieſe
ſchienen aber mit dem Hausrathe einer ganzen Familie
angefüllt zu ſein und alles von theuren Stoffen und
Holzarten gearbeitet. Der Boden war mit bunten
Teppichen überall belegt, an manchen Stellen doppelt;
in jedem Zimmer ſtanden Secretäre, feine Schränke,
Luxusmöbel, Spieltiſche und Spiegelgebäude, Sopha's

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[165/0175] und gleich am nächſten Tage einziehen werde. Ohne die mindeſte Freudenbezeugung verbeugte ſich die Baronin ein bischen, von der er übrigens nicht viel ſah, weil ſie wieder das verhüllende Tuch um Kopf und Hals geſchlagen hatte, einer Kapuze ähnlich, und eine Art grauen Ueberwurfes trug, der ſowol einen Mantel wie einen Hausrock vorſtellen konnte. Er eilte, die Veränderung ſeinen bisherigen Wirthsleuten anzuzeigen. Die waren ſehr betrübt darüber, da ſie noch nie einen ſo guten und liebenswürdigen Miether bei ſich geſehen hatten, und da ſie ſelbſt ordentliche und wohlgeſinnte Leute waren, ſo nahm ſich Brandolf's Entſchluß doppelt unbegreiflich aus. Sie konnten ſich denſelben auch nur dadurch erklären, daß der Herr als ein reicher und unverheiratheter ſtudierter Menſch ſeine Launen und keine Sorgen habe, und alſo ſich nach Belieben den Hafer könne ſtechen laſſen. Erſt als Brandolf ſeine Habſeligkeiten in das neue Loſament gebracht hatte und ſich dort einhauſ'te, ſah er ſich genöthigt, genauer auf die für ſolche Miethzimmer ungewöhnliche Ausſtattung zu achten. Es waren über¬ haupt nur drei nach der Straße gelegene Stuben; dieſe ſchienen aber mit dem Hausrathe einer ganzen Familie angefüllt zu ſein und alles von theuren Stoffen und Holzarten gearbeitet. Der Boden war mit bunten Teppichen überall belegt, an manchen Stellen doppelt; in jedem Zimmer ſtanden Secretäre, feine Schränke, Luxusmöbel, Spieltiſche und Spiegelgebäude, Sopha's

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/175>, abgerufen am 24.11.2024.