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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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häuslichen Beschäftigungen sie an den Brunnen, in den
Hof, unter die Mägde und Dienstleute führten, so fuhr
sie wie ein böser Geist schweigend unter ihnen herum.

Kurz, man war übereingekommen, daß sie ein aus¬
gemachter Teufel und Unhold sei, welcher sein menschen¬
feindliches und räuberisches Wesen auf eigene Faust be¬
treibe und hauptsächlich den Plan gefaßt habe, durch sein
Benehmen einen häufigen Wechsel der Miether zu veran¬
lassen, um solchergestalt viele kleine, aber dennoch über¬
triebene Rechnungen ausstellen und überschüssige Mieth¬
gelder einziehen zu können, wenn die Verunglückten vor
der Zeit wegzogen. Und dieser Plan, wenn er wirklich
bestand, war allerdings nicht übel, da das Haus in einer
lebhaften und schönen Straße lag, welche immer auf's
neue anständige und wohlhabende Fremde herbeilockte,
die dann froh waren, sich bald loszukaufen und Andern
Platz zu machen.

Als diese Schilderung, verwebt mit noch vielen
absonderlichen Zügen, beendigt war, fühlte Brandolf eher
ein geheimes Mitleid mit der bösen Baronin, als Zorn
und Verachtung, und als die Freunde ihn scherzweise
fragten, ob er nicht ihr Hausgenosse werden und bei der
wunderlichen Nachbarin einziehen wolle, erwiderte er ernst¬
haft: "Warum nicht? Es käme nur darauf an, die Dame
in ihrem eigensten Wesen an der Kehle zu packen und
ihr den Kopf zurechtzusetzen!"

Da er aber sah, daß die Frau des Hauses nicht geneigt

häuslichen Beſchäftigungen ſie an den Brunnen, in den
Hof, unter die Mägde und Dienſtleute führten, ſo fuhr
ſie wie ein böſer Geiſt ſchweigend unter ihnen herum.

Kurz, man war übereingekommen, daß ſie ein aus¬
gemachter Teufel und Unhold ſei, welcher ſein menſchen¬
feindliches und räuberiſches Weſen auf eigene Fauſt be¬
treibe und hauptſächlich den Plan gefaßt habe, durch ſein
Benehmen einen häufigen Wechſel der Miether zu veran¬
laſſen, um ſolchergeſtalt viele kleine, aber dennoch über¬
triebene Rechnungen ausſtellen und überſchüſſige Mieth¬
gelder einziehen zu können, wenn die Verunglückten vor
der Zeit wegzogen. Und dieſer Plan, wenn er wirklich
beſtand, war allerdings nicht übel, da das Haus in einer
lebhaften und ſchönen Straße lag, welche immer auf's
neue anſtändige und wohlhabende Fremde herbeilockte,
die dann froh waren, ſich bald loszukaufen und Andern
Platz zu machen.

Als dieſe Schilderung, verwebt mit noch vielen
abſonderlichen Zügen, beendigt war, fühlte Brandolf eher
ein geheimes Mitleid mit der böſen Baronin, als Zorn
und Verachtung, und als die Freunde ihn ſcherzweiſe
fragten, ob er nicht ihr Hausgenoſſe werden und bei der
wunderlichen Nachbarin einziehen wolle, erwiderte er ernſt¬
haft: „Warum nicht? Es käme nur darauf an, die Dame
in ihrem eigenſten Weſen an der Kehle zu packen und
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[162/0172] häuslichen Beſchäftigungen ſie an den Brunnen, in den Hof, unter die Mägde und Dienſtleute führten, ſo fuhr ſie wie ein böſer Geiſt ſchweigend unter ihnen herum. Kurz, man war übereingekommen, daß ſie ein aus¬ gemachter Teufel und Unhold ſei, welcher ſein menſchen¬ feindliches und räuberiſches Weſen auf eigene Fauſt be¬ treibe und hauptſächlich den Plan gefaßt habe, durch ſein Benehmen einen häufigen Wechſel der Miether zu veran¬ laſſen, um ſolchergeſtalt viele kleine, aber dennoch über¬ triebene Rechnungen ausſtellen und überſchüſſige Mieth¬ gelder einziehen zu können, wenn die Verunglückten vor der Zeit wegzogen. Und dieſer Plan, wenn er wirklich beſtand, war allerdings nicht übel, da das Haus in einer lebhaften und ſchönen Straße lag, welche immer auf's neue anſtändige und wohlhabende Fremde herbeilockte, die dann froh waren, ſich bald loszukaufen und Andern Platz zu machen. Als dieſe Schilderung, verwebt mit noch vielen abſonderlichen Zügen, beendigt war, fühlte Brandolf eher ein geheimes Mitleid mit der böſen Baronin, als Zorn und Verachtung, und als die Freunde ihn ſcherzweiſe fragten, ob er nicht ihr Hausgenoſſe werden und bei der wunderlichen Nachbarin einziehen wolle, erwiderte er ernſt¬ haft: „Warum nicht? Es käme nur darauf an, die Dame in ihrem eigenſten Weſen an der Kehle zu packen und ihr den Kopf zurechtzuſetzen!“ Da er aber ſah, daß die Frau des Hauſes nicht geneigt

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/172>, abgerufen am 24.11.2024.