"Ei, das ist schade, warum denn nicht?" rief der Alte.
"Ich bin zu dumm dazu!" erwiderte Reinhart, der in der That weder die Aufmerksamkeit noch die Voraussicht aufbrachte, welche zum ernsthaften Spielen erforderlich sind. Lucia sah ihn unwillkürlich mit einem dankbaren Blicke an, da sie einen Genossen in dieser Art von Dumm¬ heit in ihm fand.
"Nun," sagte der alte Herr, "so lang man jung ist, spürt man eben keine lange Weile und braucht kein Spiel. Die hat's auch so, die hier sitzende Jugendfigur! Später wird sie's wol noch lernen; denn ich hoffe, es gibt eine schöne alte Jungfer aus ihr, die ewig bei mir bleibt und auf meinem Grabe fromme Rosen züchtet und oculirt."
"Das kann geschehen," sagte die Nichte, "wenn über das Heirathen solche Anschauungen aufkommen, wie ich sie aus dem Munde des Herrn Ludwig Reinhart habe hören müssen! Denke Dir, Onkel, wir haben gestern bis Mitternacht uns verunglückte Heirathsgeschichten erzählt! Die gebildeten Männer verbinden sich jetzt nur mit Dienst¬ mädchen, Bäuerinnen und dergleichen; wir gebildeten Mädchen aber müssen zur Wiedervergeltung unsere Haus¬ knechte und Kutscher nehmen, und da besinnt man sich doch ein bischen! Sagen Sie, Herr Reinhart, haben Sie nicht noch eine Treppenheirath zu erzählen?"
"Freilich hab' ich," antwortete er, "eine ganz präch¬ tige, eine Heirath aus reinem Mitleiden!"
„Leider nein, ich ſpiele überhaupt gar nichts!“
„Ei, das iſt ſchade, warum denn nicht?“ rief der Alte.
„Ich bin zu dumm dazu!“ erwiderte Reinhart, der in der That weder die Aufmerkſamkeit noch die Vorausſicht aufbrachte, welche zum ernſthaften Spielen erforderlich ſind. Lucia ſah ihn unwillkürlich mit einem dankbaren Blicke an, da ſie einen Genoſſen in dieſer Art von Dumm¬ heit in ihm fand.
„Nun,“ ſagte der alte Herr, „ſo lang man jung iſt, ſpürt man eben keine lange Weile und braucht kein Spiel. Die hat's auch ſo, die hier ſitzende Jugendfigur! Später wird ſie's wol noch lernen; denn ich hoffe, es gibt eine ſchöne alte Jungfer aus ihr, die ewig bei mir bleibt und auf meinem Grabe fromme Roſen züchtet und oculirt.“
„Das kann geſchehen,“ ſagte die Nichte, „wenn über das Heirathen ſolche Anſchauungen aufkommen, wie ich ſie aus dem Munde des Herrn Ludwig Reinhart habe hören müſſen! Denke Dir, Onkel, wir haben geſtern bis Mitternacht uns verunglückte Heirathsgeſchichten erzählt! Die gebildeten Männer verbinden ſich jetzt nur mit Dienſt¬ mädchen, Bäuerinnen und dergleichen; wir gebildeten Mädchen aber müſſen zur Wiedervergeltung unſere Haus¬ knechte und Kutſcher nehmen, und da beſinnt man ſich doch ein bischen! Sagen Sie, Herr Reinhart, haben Sie nicht noch eine Treppenheirath zu erzählen?“
„Freilich hab' ich,“ antwortete er, „eine ganz präch¬ tige, eine Heirath aus reinem Mitleiden!“
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„Leider nein, ich ſpiele überhaupt gar nichts!“
„Ei, das iſt ſchade, warum denn nicht?“ rief der Alte.
„Ich bin zu dumm dazu!“ erwiderte Reinhart, der in
der That weder die Aufmerkſamkeit noch die Vorausſicht
aufbrachte, welche zum ernſthaften Spielen erforderlich
ſind. Lucia ſah ihn unwillkürlich mit einem dankbaren
Blicke an, da ſie einen Genoſſen in dieſer Art von Dumm¬
heit in ihm fand.
„Nun,“ ſagte der alte Herr, „ſo lang man jung iſt,
ſpürt man eben keine lange Weile und braucht kein Spiel.
Die hat's auch ſo, die hier ſitzende Jugendfigur! Später
wird ſie's wol noch lernen; denn ich hoffe, es gibt eine
ſchöne alte Jungfer aus ihr, die ewig bei mir bleibt und
auf meinem Grabe fromme Roſen züchtet und oculirt.“
„Das kann geſchehen,“ ſagte die Nichte, „wenn über
das Heirathen ſolche Anſchauungen aufkommen, wie ich
ſie aus dem Munde des Herrn Ludwig Reinhart habe
hören müſſen! Denke Dir, Onkel, wir haben geſtern bis
Mitternacht uns verunglückte Heirathsgeſchichten erzählt!
Die gebildeten Männer verbinden ſich jetzt nur mit Dienſt¬
mädchen, Bäuerinnen und dergleichen; wir gebildeten
Mädchen aber müſſen zur Wiedervergeltung unſere Haus¬
knechte und Kutſcher nehmen, und da beſinnt man ſich
doch ein bischen! Sagen Sie, Herr Reinhart, haben Sie
nicht noch eine Treppenheirath zu erzählen?“
„Freilich hab' ich,“ antwortete er, „eine ganz präch¬
tige, eine Heirath aus reinem Mitleiden!“
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/168>, abgerufen am 24.11.2024.
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