Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

rinnen derselben nennen, von Einfluß auf das Schicksal
der armen Regine gewesen ist. Aber auch so bleibt sicher,
daß es dem guten Herrn Altenauer eben unmöglich war,
seiner Frauenausbildung den rechten Rückgrat zu geben.
Wäre seine Liebe nicht von der Eitelkeit der Welt um¬
sponnen gewesen, so hätte er lieber die Braut gleich
anfangs nach Amerika zu seiner Mutter gebracht und
dieser das Werk überlassen; dann wäre es wol anders
geworden! Jetzt ist es aber Zeit, unsere merkwürdige
Sitzung aufzuheben; ich bitte zu entschuldigen, wenn ich
mich zurückziehe, obgleich ich beinahe fürchte, im Traum
die schöne Person wie eine mythische Heroenfrau an der
seidenen Schnur hängen zu sehen; denn trotz ihrer Wehr¬
losigkeit steckt etwas Heroisches in der Gestalt. Der Wahl¬
herr hat diesmal wirklich auf Race zu halten gewußt!"

Sie bot dem Gaste gute Nacht und sandte gleich
darauf den bejahrten Diener her, den Reinhart bei seiner
Ankunft gesehen. Der freundliche Mann führte ihn nach
seinem Schlafgemache, indem er ihm erzählte, der alte
gichtbrüchige Herr beabsichtige, am Morgen mit dem Herrn
Reinhart zu frühstücken, da nach gewissen Anzeichen der
dermalige Anfall zu weichen beginne.

Mit wunderlich aufgeregtem Gefühle legte sich Reinhart
in dem fremden Hause zu Bett, unter Einem Dache mit
dem ziervollsten Frauenwesen der Welt. Wie es Leute
gibt, deren Körperliches, wenn man es zufällig berührt
oder anstößt, sich durch die Kleidung hindurch fest und

rinnen derſelben nennen, von Einfluß auf das Schickſal
der armen Regine geweſen iſt. Aber auch ſo bleibt ſicher,
daß es dem guten Herrn Altenauer eben unmöglich war,
ſeiner Frauenausbildung den rechten Rückgrat zu geben.
Wäre ſeine Liebe nicht von der Eitelkeit der Welt um¬
ſponnen geweſen, ſo hätte er lieber die Braut gleich
anfangs nach Amerika zu ſeiner Mutter gebracht und
dieſer das Werk überlaſſen; dann wäre es wol anders
geworden! Jetzt iſt es aber Zeit, unſere merkwürdige
Sitzung aufzuheben; ich bitte zu entſchuldigen, wenn ich
mich zurückziehe, obgleich ich beinahe fürchte, im Traum
die ſchöne Perſon wie eine mythiſche Heroenfrau an der
ſeidenen Schnur hängen zu ſehen; denn trotz ihrer Wehr¬
loſigkeit ſteckt etwas Heroiſches in der Geſtalt. Der Wahl¬
herr hat diesmal wirklich auf Race zu halten gewußt!“

Sie bot dem Gaſte gute Nacht und ſandte gleich
darauf den bejahrten Diener her, den Reinhart bei ſeiner
Ankunft geſehen. Der freundliche Mann führte ihn nach
ſeinem Schlafgemache, indem er ihm erzählte, der alte
gichtbrüchige Herr beabſichtige, am Morgen mit dem Herrn
Reinhart zu frühſtücken, da nach gewiſſen Anzeichen der
dermalige Anfall zu weichen beginne.

Mit wunderlich aufgeregtem Gefühle legte ſich Reinhart
in dem fremden Hauſe zu Bett, unter Einem Dache mit
dem ziervollſten Frauenweſen der Welt. Wie es Leute
gibt, deren Körperliches, wenn man es zufällig berührt
oder anſtößt, ſich durch die Kleidung hindurch feſt und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="153"/>
rinnen der&#x017F;elben nennen, von Einfluß auf das Schick&#x017F;al<lb/>
der armen Regine gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Aber auch &#x017F;o bleibt &#x017F;icher,<lb/>
daß es dem guten Herrn Altenauer eben unmöglich war,<lb/>
&#x017F;einer Frauenausbildung den rechten Rückgrat zu geben.<lb/>
Wäre &#x017F;eine Liebe nicht von der Eitelkeit der Welt um¬<lb/>
&#x017F;ponnen gewe&#x017F;en, &#x017F;o hätte er lieber die Braut gleich<lb/>
anfangs nach Amerika zu &#x017F;einer Mutter gebracht und<lb/>
die&#x017F;er das Werk überla&#x017F;&#x017F;en; dann wäre es wol anders<lb/>
geworden! Jetzt i&#x017F;t es aber Zeit, un&#x017F;ere merkwürdige<lb/>
Sitzung aufzuheben; ich bitte zu ent&#x017F;chuldigen, wenn ich<lb/>
mich zurückziehe, obgleich ich beinahe fürchte, im Traum<lb/>
die &#x017F;chöne Per&#x017F;on wie eine mythi&#x017F;che Heroenfrau an der<lb/>
&#x017F;eidenen Schnur hängen zu &#x017F;ehen; denn trotz ihrer Wehr¬<lb/>
lo&#x017F;igkeit &#x017F;teckt etwas Heroi&#x017F;ches in der Ge&#x017F;talt. Der Wahl¬<lb/>
herr hat diesmal wirklich auf Race zu halten gewußt!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie bot dem Ga&#x017F;te gute Nacht und &#x017F;andte gleich<lb/>
darauf den bejahrten Diener her, den Reinhart bei &#x017F;einer<lb/>
Ankunft ge&#x017F;ehen. Der freundliche Mann führte ihn nach<lb/>
&#x017F;einem Schlafgemache, indem er ihm erzählte, der alte<lb/>
gichtbrüchige Herr beab&#x017F;ichtige, am Morgen mit dem Herrn<lb/>
Reinhart zu früh&#x017F;tücken, da nach gewi&#x017F;&#x017F;en Anzeichen der<lb/>
dermalige Anfall zu weichen beginne.</p><lb/>
          <p>Mit wunderlich aufgeregtem Gefühle legte &#x017F;ich Reinhart<lb/>
in dem fremden Hau&#x017F;e zu Bett, unter Einem Dache mit<lb/>
dem ziervoll&#x017F;ten Frauenwe&#x017F;en der Welt. Wie es Leute<lb/>
gibt, deren Körperliches, wenn man es zufällig berührt<lb/>
oder an&#x017F;tößt, &#x017F;ich durch die Kleidung hindurch fe&#x017F;t und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] rinnen derſelben nennen, von Einfluß auf das Schickſal der armen Regine geweſen iſt. Aber auch ſo bleibt ſicher, daß es dem guten Herrn Altenauer eben unmöglich war, ſeiner Frauenausbildung den rechten Rückgrat zu geben. Wäre ſeine Liebe nicht von der Eitelkeit der Welt um¬ ſponnen geweſen, ſo hätte er lieber die Braut gleich anfangs nach Amerika zu ſeiner Mutter gebracht und dieſer das Werk überlaſſen; dann wäre es wol anders geworden! Jetzt iſt es aber Zeit, unſere merkwürdige Sitzung aufzuheben; ich bitte zu entſchuldigen, wenn ich mich zurückziehe, obgleich ich beinahe fürchte, im Traum die ſchöne Perſon wie eine mythiſche Heroenfrau an der ſeidenen Schnur hängen zu ſehen; denn trotz ihrer Wehr¬ loſigkeit ſteckt etwas Heroiſches in der Geſtalt. Der Wahl¬ herr hat diesmal wirklich auf Race zu halten gewußt!“ Sie bot dem Gaſte gute Nacht und ſandte gleich darauf den bejahrten Diener her, den Reinhart bei ſeiner Ankunft geſehen. Der freundliche Mann führte ihn nach ſeinem Schlafgemache, indem er ihm erzählte, der alte gichtbrüchige Herr beabſichtige, am Morgen mit dem Herrn Reinhart zu frühſtücken, da nach gewiſſen Anzeichen der dermalige Anfall zu weichen beginne. Mit wunderlich aufgeregtem Gefühle legte ſich Reinhart in dem fremden Hauſe zu Bett, unter Einem Dache mit dem ziervollſten Frauenweſen der Welt. Wie es Leute gibt, deren Körperliches, wenn man es zufällig berührt oder anſtößt, ſich durch die Kleidung hindurch feſt und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/163
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/163>, abgerufen am 24.11.2024.