um und sagte zu ihr, die kaum noch drei Schritte von mir entfernt war: "Warum gehen Sie mir nach, Fräulein?"
"Sie stand still, wie von einer Schlange er¬ schreckt, und wurde, den Blick zur Erde gesenkt, glühendroth im Gesicht; dann wurde sie bleich und weiß und zitterte am ganzen Leibe, während sie die großen blauen Augen zu mir aufschlug und nicht ein Wort hervorbrachte. Endlich sagte sie mit einer Stimme, in welchen empör¬ ter Stolz mit gern ertragener Demüthigung rang: "Ich denke, ich kann in meinem Besitzthume herumgehen, wo ich will!"
"Gewiß!" erwiederte ich kleinlaut und setzte meinen Weg fort. Sie war jetzt an meiner Seite und ging neben mir her. Ich ging aber in meiner heftigen Aufregung mit so langen und raschen Schritten, daß sie trotz ihrer kräftigen Bewegungen mir mit Mühe folgen konnte und doch that sie es. Ich sah sie mehrmals groß an von der Seite und sah, daß ihr die Augen wieder voll Wasser standen, indessen dieselben wie kummervoll und demüthig auf den Boden gerichtet waren. Mir brannte es ebenfalls sie¬
um und ſagte zu ihr, die kaum noch drei Schritte von mir entfernt war: »Warum gehen Sie mir nach, Fräulein?«
»Sie ſtand ſtill, wie von einer Schlange er¬ ſchreckt, und wurde, den Blick zur Erde geſenkt, glühendroth im Geſicht; dann wurde ſie bleich und weiß und zitterte am ganzen Leibe, während ſie die großen blauen Augen zu mir aufſchlug und nicht ein Wort hervorbrachte. Endlich ſagte ſie mit einer Stimme, in welchen empör¬ ter Stolz mit gern ertragener Demüthigung rang: »Ich denke, ich kann in meinem Beſitzthume herumgehen, wo ich will!«
»Gewiß!« erwiederte ich kleinlaut und ſetzte meinen Weg fort. Sie war jetzt an meiner Seite und ging neben mir her. Ich ging aber in meiner heftigen Aufregung mit ſo langen und raſchen Schritten, daß ſie trotz ihrer kräftigen Bewegungen mir mit Mühe folgen konnte und doch that ſie es. Ich ſah ſie mehrmals groß an von der Seite und ſah, daß ihr die Augen wieder voll Waſſer ſtanden, indeſſen dieſelben wie kummervoll und demüthig auf den Boden gerichtet waren. Mir brannte es ebenfalls ſie¬
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um und ſagte zu ihr, die kaum noch drei Schritte
von mir entfernt war: »Warum gehen Sie mir
nach, Fräulein?«
»Sie ſtand ſtill, wie von einer Schlange er¬
ſchreckt, und wurde, den Blick zur Erde geſenkt,
glühendroth im Geſicht; dann wurde ſie bleich
und weiß und zitterte am ganzen Leibe, während
ſie die großen blauen Augen zu mir aufſchlug
und nicht ein Wort hervorbrachte. Endlich
ſagte ſie mit einer Stimme, in welchen empör¬
ter Stolz mit gern ertragener Demüthigung rang:
»Ich denke, ich kann in meinem Beſitzthume
herumgehen, wo ich will!«
»Gewiß!« erwiederte ich kleinlaut und ſetzte
meinen Weg fort. Sie war jetzt an meiner
Seite und ging neben mir her. Ich ging aber
in meiner heftigen Aufregung mit ſo langen und
raſchen Schritten, daß ſie trotz ihrer kräftigen
Bewegungen mir mit Mühe folgen konnte und
doch that ſie es. Ich ſah ſie mehrmals groß
an von der Seite und ſah, daß ihr die Augen
wieder voll Waſſer ſtanden, indeſſen dieſelben
wie kummervoll und demüthig auf den Boden
gerichtet waren. Mir brannte es ebenfalls ſie¬
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/90>, abgerufen am 24.11.2024.
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