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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sich in müssige Traumseligkeit aufzulösen und ich
lief Gefahr ein Tollhäusler zu werden. Zudem
war ich trotz aller dieser goldenen Luftschlösser
unsäglich kleinmüthig und traurig, da, ehe das
letzte Wort gesprochen ist, die solchen wuchernden
Träumen gegenüber immer zurückstehende Wirk¬
lichkeit niederschlägt und die leibhafte Gegenwart
etwas Abkühlendes und Abwehrendes behält. Es
ist das gewissermaßen die schützende Dornenrüstung,
womit sich die schöne Rose des körperlichen Le¬
bens umgiebt. Je freundlicher und zuthulicher
Lydia war, desto ungewisser und zweifelhafter
wurde ich, weil ich an mir selbst entnahm,
wie schwer es Einem möglich wird, eine wirk¬
liche Liebe zu zeigen, ohne sie ganz bei ihrem
Namen zu nennen. Nur wenn sie streng, traurig
und leidend schien, schöpfte ich wieder einen
halben Grund zu einer vernünftigen Hoffnung,
aber dies quälte mich alsdann noch viel tiefer
und ich hielt mich nicht werth, daß sie nur eine
schlimme Minute um meinetwillen erleiden sollte,
der ich gern den Kopf unter ihre Füße gelegt
hätte. Dann ärgerte ich mich wieder, daß sie,
um guter Dinge zu sein, verlangte, ich sollte

ſich in müſſige Traumſeligkeit aufzulöſen und ich
lief Gefahr ein Tollhäusler zu werden. Zudem
war ich trotz aller dieſer goldenen Luftſchlöſſer
unſäglich kleinmüthig und traurig, da, ehe das
letzte Wort geſprochen iſt, die ſolchen wuchernden
Träumen gegenüber immer zurückſtehende Wirk¬
lichkeit niederſchlägt und die leibhafte Gegenwart
etwas Abkühlendes und Abwehrendes behält. Es
iſt das gewiſſermaßen die ſchützende Dornenrüſtung,
womit ſich die ſchöne Roſe des körperlichen Le¬
bens umgiebt. Je freundlicher und zuthulicher
Lydia war, deſto ungewiſſer und zweifelhafter
wurde ich, weil ich an mir ſelbſt entnahm,
wie ſchwer es Einem möglich wird, eine wirk¬
liche Liebe zu zeigen, ohne ſie ganz bei ihrem
Namen zu nennen. Nur wenn ſie ſtreng, traurig
und leidend ſchien, ſchöpfte ich wieder einen
halben Grund zu einer vernünftigen Hoffnung,
aber dies quälte mich alsdann noch viel tiefer
und ich hielt mich nicht werth, daß ſie nur eine
ſchlimme Minute um meinetwillen erleiden ſollte,
der ich gern den Kopf unter ihre Füße gelegt
hätte. Dann ärgerte ich mich wieder, daß ſie,
um guter Dinge zu ſein, verlangte, ich ſollte

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[74/0086] ſich in müſſige Traumſeligkeit aufzulöſen und ich lief Gefahr ein Tollhäusler zu werden. Zudem war ich trotz aller dieſer goldenen Luftſchlöſſer unſäglich kleinmüthig und traurig, da, ehe das letzte Wort geſprochen iſt, die ſolchen wuchernden Träumen gegenüber immer zurückſtehende Wirk¬ lichkeit niederſchlägt und die leibhafte Gegenwart etwas Abkühlendes und Abwehrendes behält. Es iſt das gewiſſermaßen die ſchützende Dornenrüſtung, womit ſich die ſchöne Roſe des körperlichen Le¬ bens umgiebt. Je freundlicher und zuthulicher Lydia war, deſto ungewiſſer und zweifelhafter wurde ich, weil ich an mir ſelbſt entnahm, wie ſchwer es Einem möglich wird, eine wirk¬ liche Liebe zu zeigen, ohne ſie ganz bei ihrem Namen zu nennen. Nur wenn ſie ſtreng, traurig und leidend ſchien, ſchöpfte ich wieder einen halben Grund zu einer vernünftigen Hoffnung, aber dies quälte mich alsdann noch viel tiefer und ich hielt mich nicht werth, daß ſie nur eine ſchlimme Minute um meinetwillen erleiden ſollte, der ich gern den Kopf unter ihre Füße gelegt hätte. Dann ärgerte ich mich wieder, daß ſie, um guter Dinge zu ſein, verlangte, ich ſollte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/86>, abgerufen am 24.11.2024.