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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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vor dem Tode, den er zagend scheut, obgleich
er durch selbigen in die ewige Seligkeit einzu¬
gehen gewiß ist. Desto bunter ging es in
meinem Gehirn zu und die Ereignisse und auf¬
regendsten Geschichten, alles aufs schönste und
unzweifelhafteste sich begebend, drängten und blüh¬
ten da durcheinander. Ich versäumte meine Ge¬
schäfte und war zu nichts zu brauchen. Das
Ärgste war mir, wenn ich stundenlang mit dem
Alten Schach spielen mußte, wo ich dann ge¬
zwungen war, meine Aufmerksamkeit an das Spiel
zu fesseln, und die einzige Muße für meine
schweren Liebesgedanken gewährte mir die kurze
Zeit, wenn ein Spiel zu Ende war und die
Figuren wieder aufgestellt wurden. Ich ließ mich
daher sobald als immer möglich, ohne daß es
zu sehr auffiel, matt machen und hielt mich so
lange mit dem Aufstellen des Königs und der
Königin, der Läufer, Springer und Bauern auf
und rückte so lange an den Thürmen hin und
her, daß der Gouverneur glaubte, ich sei kin¬
disch geworden und tändle mit den Figürchen zu
meinem Vergnügen."

"Endlich aber drohete meine ganze Existenz

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vor dem Tode, den er zagend ſcheut, obgleich
er durch ſelbigen in die ewige Seligkeit einzu¬
gehen gewiß iſt. Deſto bunter ging es in
meinem Gehirn zu und die Ereigniſſe und auf¬
regendſten Geſchichten, alles aufs ſchönſte und
unzweifelhafteſte ſich begebend, drängten und blüh¬
ten da durcheinander. Ich verſäumte meine Ge¬
ſchäfte und war zu nichts zu brauchen. Das
Ärgſte war mir, wenn ich ſtundenlang mit dem
Alten Schach ſpielen mußte, wo ich dann ge¬
zwungen war, meine Aufmerkſamkeit an das Spiel
zu feſſeln, und die einzige Muße für meine
ſchweren Liebesgedanken gewährte mir die kurze
Zeit, wenn ein Spiel zu Ende war und die
Figuren wieder aufgeſtellt wurden. Ich ließ mich
daher ſobald als immer möglich, ohne daß es
zu ſehr auffiel, matt machen und hielt mich ſo
lange mit dem Aufſtellen des Königs und der
Königin, der Läufer, Springer und Bauern auf
und rückte ſo lange an den Thürmen hin und
her, daß der Gouverneur glaubte, ich ſei kin¬
diſch geworden und tändle mit den Figürchen zu
meinem Vergnügen.«

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[73/0085] vor dem Tode, den er zagend ſcheut, obgleich er durch ſelbigen in die ewige Seligkeit einzu¬ gehen gewiß iſt. Deſto bunter ging es in meinem Gehirn zu und die Ereigniſſe und auf¬ regendſten Geſchichten, alles aufs ſchönſte und unzweifelhafteſte ſich begebend, drängten und blüh¬ ten da durcheinander. Ich verſäumte meine Ge¬ ſchäfte und war zu nichts zu brauchen. Das Ärgſte war mir, wenn ich ſtundenlang mit dem Alten Schach ſpielen mußte, wo ich dann ge¬ zwungen war, meine Aufmerkſamkeit an das Spiel zu feſſeln, und die einzige Muße für meine ſchweren Liebesgedanken gewährte mir die kurze Zeit, wenn ein Spiel zu Ende war und die Figuren wieder aufgeſtellt wurden. Ich ließ mich daher ſobald als immer möglich, ohne daß es zu ſehr auffiel, matt machen und hielt mich ſo lange mit dem Aufſtellen des Königs und der Königin, der Läufer, Springer und Bauern auf und rückte ſo lange an den Thürmen hin und her, daß der Gouverneur glaubte, ich ſei kin¬ diſch geworden und tändle mit den Figürchen zu meinem Vergnügen.« »Endlich aber drohete meine ganze Exiſtenz 5 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/85>, abgerufen am 22.11.2024.