so hübsch beisammen, wie in jenen Gedichten; nie trifft ein ganzer Schurke auf einen ganzen wehrbaren Mann, nie ein vollständiger Narr auf einen unbedingt klugen Fröhlichen, so daß es zu keinem rechten Trauerspiel und zu keiner guten Komödie kommen kann."
"Ich aber las nun die ganze Nacht in die¬ sem Buche und verfing mich ganz in demselben, da es mir gar so gründlich und sachgemäß ge¬ schrieben schien und mir außerdem eine solche Arbeit eben so neu als verdienstlich vorkam. Weil nun alles übrige so trefflich, wahr und ganz erschien und ich es für die eigentliche und richtige Welt hielt, so verließ ich mich insbeson¬ dere auch bei den Weibern, die es vorbrachte, ganz auf ihn, verlockt und geleitet von dem schönen Sterne Lydia, und ich glaubte, hier ginge mir ein Licht auf und sei die Lösung meiner zweifelvollen Verwirrung und Qual zu finden."
"Gut! dachte ich, wenn ich diese schönen Bilder der Desdemona, der Helena, der Imogen und anderer sah, die alle aus der hohen Selbst¬ herrlichkeit ihres Frauenthums heraus so selt¬
ſo hübſch beiſammen, wie in jenen Gedichten; nie trifft ein ganzer Schurke auf einen ganzen wehrbaren Mann, nie ein vollſtändiger Narr auf einen unbedingt klugen Fröhlichen, ſo daß es zu keinem rechten Trauerſpiel und zu keiner guten Komödie kommen kann.«
»Ich aber las nun die ganze Nacht in die¬ ſem Buche und verfing mich ganz in demſelben, da es mir gar ſo gründlich und ſachgemäß ge¬ ſchrieben ſchien und mir außerdem eine ſolche Arbeit eben ſo neu als verdienſtlich vorkam. Weil nun alles übrige ſo trefflich, wahr und ganz erſchien und ich es für die eigentliche und richtige Welt hielt, ſo verließ ich mich insbeſon¬ dere auch bei den Weibern, die es vorbrachte, ganz auf ihn, verlockt und geleitet von dem ſchönen Sterne Lydia, und ich glaubte, hier ginge mir ein Licht auf und ſei die Löſung meiner zweifelvollen Verwirrung und Qual zu finden.«
»Gut! dachte ich, wenn ich dieſe ſchönen Bilder der Desdemona, der Helena, der Imogen und anderer ſah, die alle aus der hohen Selbſt¬ herrlichkeit ihres Frauenthums heraus ſo ſelt¬
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[70/0082]
ſo hübſch beiſammen, wie in jenen Gedichten;
nie trifft ein ganzer Schurke auf einen ganzen
wehrbaren Mann, nie ein vollſtändiger Narr auf
einen unbedingt klugen Fröhlichen, ſo daß es zu
keinem rechten Trauerſpiel und zu keiner guten
Komödie kommen kann.«
»Ich aber las nun die ganze Nacht in die¬
ſem Buche und verfing mich ganz in demſelben,
da es mir gar ſo gründlich und ſachgemäß ge¬
ſchrieben ſchien und mir außerdem eine ſolche
Arbeit eben ſo neu als verdienſtlich vorkam.
Weil nun alles übrige ſo trefflich, wahr und
ganz erſchien und ich es für die eigentliche und
richtige Welt hielt, ſo verließ ich mich insbeſon¬
dere auch bei den Weibern, die es vorbrachte,
ganz auf ihn, verlockt und geleitet von dem
ſchönen Sterne Lydia, und ich glaubte, hier
ginge mir ein Licht auf und ſei die Löſung
meiner zweifelvollen Verwirrung und Qual zu
finden.«
»Gut! dachte ich, wenn ich dieſe ſchönen
Bilder der Desdemona, der Helena, der Imogen
und anderer ſah, die alle aus der hohen Selbſt¬
herrlichkeit ihres Frauenthums heraus ſo ſelt¬
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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