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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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bei aller Zurückhaltung, die sie nun beobachtete,
dennoch keine Gelegenheit versäumte, irgend etwas
zu meinen Gunsten zu thun oder zu sagen, und
sie fing an, mir völlig nach dem Munde oder
zu Gefallen zu sprechen, da sie Ausdrücke brauchte,
welche ich etwa gebraucht, und die Dinge so
beurtheilte, wie ich es zu thun gewohnt war.
Dies schien nun erst nichts besonderes, weil es
mich eben von jeder angenehm dünkte, in ihr
eben dieselben Ansichten vom Zweckmäßigen oder
vom Verkehrten zu entdecken, deren ich mich selber
befleißigte; auch lachte sie über dieselben Dinge,
über welche ich lachen mußte, oder ärgerte sich
über die nämlichen Unschicklichkeiten, so etwa vor¬
fielen. Aber zuletzt ward es so auffällig, daß
sie mir, da ich kaum ein Wort mit ihr zu spre¬
chen hatte, zu Gefallen zu leben suchte und zwar
nicht wie eine schelmische Kokette, sondern wie
ein einfaches argloses Kind, daß ich in die
größte Verwirrung gerieth und vollends nicht
mehr wußte, wie ich mich stellen sollte. So
fand ich denn, um mich zu salviren, unverfäng¬
lich mein Heil in meiner alten wohlhergestellten
Schmollkunst und verhärtete mich vollkommen in

bei aller Zurückhaltung, die ſie nun beobachtete,
dennoch keine Gelegenheit verſäumte, irgend etwas
zu meinen Gunſten zu thun oder zu ſagen, und
ſie fing an, mir völlig nach dem Munde oder
zu Gefallen zu ſprechen, da ſie Ausdrücke brauchte,
welche ich etwa gebraucht, und die Dinge ſo
beurtheilte, wie ich es zu thun gewohnt war.
Dies ſchien nun erſt nichts beſonderes, weil es
mich eben von jeder angenehm dünkte, in ihr
eben dieſelben Anſichten vom Zweckmäßigen oder
vom Verkehrten zu entdecken, deren ich mich ſelber
befleißigte; auch lachte ſie über dieſelben Dinge,
über welche ich lachen mußte, oder ärgerte ſich
über die nämlichen Unſchicklichkeiten, ſo etwa vor¬
fielen. Aber zuletzt ward es ſo auffällig, daß
ſie mir, da ich kaum ein Wort mit ihr zu ſpre¬
chen hatte, zu Gefallen zu leben ſuchte und zwar
nicht wie eine ſchelmiſche Kokette, ſondern wie
ein einfaches argloſes Kind, daß ich in die
größte Verwirrung gerieth und vollends nicht
mehr wußte, wie ich mich ſtellen ſollte. So
fand ich denn, um mich zu ſalviren, unverfäng¬
lich mein Heil in meiner alten wohlhergeſtellten
Schmollkunſt und verhärtete mich vollkommen in

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[64/0076] bei aller Zurückhaltung, die ſie nun beobachtete, dennoch keine Gelegenheit verſäumte, irgend etwas zu meinen Gunſten zu thun oder zu ſagen, und ſie fing an, mir völlig nach dem Munde oder zu Gefallen zu ſprechen, da ſie Ausdrücke brauchte, welche ich etwa gebraucht, und die Dinge ſo beurtheilte, wie ich es zu thun gewohnt war. Dies ſchien nun erſt nichts beſonderes, weil es mich eben von jeder angenehm dünkte, in ihr eben dieſelben Anſichten vom Zweckmäßigen oder vom Verkehrten zu entdecken, deren ich mich ſelber befleißigte; auch lachte ſie über dieſelben Dinge, über welche ich lachen mußte, oder ärgerte ſich über die nämlichen Unſchicklichkeiten, ſo etwa vor¬ fielen. Aber zuletzt ward es ſo auffällig, daß ſie mir, da ich kaum ein Wort mit ihr zu ſpre¬ chen hatte, zu Gefallen zu leben ſuchte und zwar nicht wie eine ſchelmiſche Kokette, ſondern wie ein einfaches argloſes Kind, daß ich in die größte Verwirrung gerieth und vollends nicht mehr wußte, wie ich mich ſtellen ſollte. So fand ich denn, um mich zu ſalviren, unverfäng¬ lich mein Heil in meiner alten wohlhergeſtellten Schmollkunſt und verhärtete mich vollkommen in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/76>, abgerufen am 24.11.2024.