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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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weiß es nicht mehr genau; denn die ganze Zeit¬
rechnung von damals ist mir verloren gegangen,
der ganze Zeitraum schwebt mir nur noch wie
ein schwüler von Träumen durchzogener Som¬
mertag vor. Während dieses Anfanges nun,
dessen längere oder kürzere Dauer ich nicht mehr
weiß, ging so alles gut und ruhig von Statten.
Die Dame, obgleich sie mich öfters sehen mußte,
hatte nicht besonders viel mit mir zu verkehren
oder zu sprechen, wenn sie es aber that, so war
sie außerordentlich freundlich und that es nie,
ohne mit einem kindlichen harmlosen Lachen ihres
schönen Gesichtes, was ich dann dankbarst damit
erwiederte, daß ich ein um so ehrbareres Gesicht
machte und den Mund nicht verzog, indem ich
sagte: Sehr wohl, mein Fräulein! oder auch
unbefangen widersprach, wenn sie sich irrte, was
indeß selten geschah. War sie aber nicht zugegen
oder ich allein, so dachte ich wohl vielfältig an
sie, aber nicht im mindesten wie ein Verliebter,
sondern wie ein guter Freund oder Verwandter,
welcher aufrichtig um sie bekümmert war, ihr
alles Wohlergehen wünschte und allerlei gute
Dinge für sie ausdachte. Kaum ging eine leise

weiß es nicht mehr genau; denn die ganze Zeit¬
rechnung von damals iſt mir verloren gegangen,
der ganze Zeitraum ſchwebt mir nur noch wie
ein ſchwüler von Träumen durchzogener Som¬
mertag vor. Während dieſes Anfanges nun,
deſſen längere oder kürzere Dauer ich nicht mehr
weiß, ging ſo alles gut und ruhig von Statten.
Die Dame, obgleich ſie mich öfters ſehen mußte,
hatte nicht beſonders viel mit mir zu verkehren
oder zu ſprechen, wenn ſie es aber that, ſo war
ſie außerordentlich freundlich und that es nie,
ohne mit einem kindlichen harmloſen Lachen ihres
ſchönen Geſichtes, was ich dann dankbarſt damit
erwiederte, daß ich ein um ſo ehrbareres Geſicht
machte und den Mund nicht verzog, indem ich
ſagte: Sehr wohl, mein Fräulein! oder auch
unbefangen widerſprach, wenn ſie ſich irrte, was
indeß ſelten geſchah. War ſie aber nicht zugegen
oder ich allein, ſo dachte ich wohl vielfältig an
ſie, aber nicht im mindeſten wie ein Verliebter,
ſondern wie ein guter Freund oder Verwandter,
welcher aufrichtig um ſie bekümmert war, ihr
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[58/0070] weiß es nicht mehr genau; denn die ganze Zeit¬ rechnung von damals iſt mir verloren gegangen, der ganze Zeitraum ſchwebt mir nur noch wie ein ſchwüler von Träumen durchzogener Som¬ mertag vor. Während dieſes Anfanges nun, deſſen längere oder kürzere Dauer ich nicht mehr weiß, ging ſo alles gut und ruhig von Statten. Die Dame, obgleich ſie mich öfters ſehen mußte, hatte nicht beſonders viel mit mir zu verkehren oder zu ſprechen, wenn ſie es aber that, ſo war ſie außerordentlich freundlich und that es nie, ohne mit einem kindlichen harmloſen Lachen ihres ſchönen Geſichtes, was ich dann dankbarſt damit erwiederte, daß ich ein um ſo ehrbareres Geſicht machte und den Mund nicht verzog, indem ich ſagte: Sehr wohl, mein Fräulein! oder auch unbefangen widerſprach, wenn ſie ſich irrte, was indeß ſelten geſchah. War ſie aber nicht zugegen oder ich allein, ſo dachte ich wohl vielfältig an ſie, aber nicht im mindeſten wie ein Verliebter, ſondern wie ein guter Freund oder Verwandter, welcher aufrichtig um ſie bekümmert war, ihr alles Wohlergehen wünſchte und allerlei gute Dinge für ſie ausdachte. Kaum ging eine leiſe

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/70>, abgerufen am 24.11.2024.