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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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lich im Stich und schliefen wirklich ein. Zum
Glück für unsere Neugierde bemerkte der Oberst
dies nicht, hatte überhaupt vergessen, vor wem
er erzählte und fuhr ohne die niedergeschlagenen
Augen zu erheben, fort, vor den schlafenden
Frauen zu erzählen, wie Einer, der etwas lange
Verschwiegenes endlich mitzutheilen sich nicht mehr
enthalten kann.

"Ich hatte, sagte er, bis zu dieser Zeit noch
kein Weib näher angesehen und verstand oder
wußte von ihnen ungefähr so viel, wie ein Nas¬
horn vom Zitherspiel. Nicht daß ich solche etwa
nicht von jeher gern gesehen hätte, wenn ich
unbemerkt und ohne Aufwand von Mühe nach
ihnen schielen konnte; doch war es mir äußerst
zuwider, mit irgend Einer mich in den geringsten
Wortwechsel einzulassen, da es mir von jeher
schien, als ob es sämmtlichen Weibern gar nicht
um eine vernunftgemäße, klare und richtige Sache
zu thun wäre, daß es ihnen unmöglich sei, nur
sechs Worte lang in guter Ordnung bei der
Stange zu bleiben, sondern daß sie einzig darauf
ausgingen, wenn sie in diesem Augenblicke etwas
Zweckmäßiges und Gutes gesagt haben, gleich

lich im Stich und ſchliefen wirklich ein. Zum
Glück für unſere Neugierde bemerkte der Oberſt
dies nicht, hatte überhaupt vergeſſen, vor wem
er erzählte und fuhr ohne die niedergeſchlagenen
Augen zu erheben, fort, vor den ſchlafenden
Frauen zu erzählen, wie Einer, der etwas lange
Verſchwiegenes endlich mitzutheilen ſich nicht mehr
enthalten kann.

»Ich hatte, ſagte er, bis zu dieſer Zeit noch
kein Weib näher angeſehen und verſtand oder
wußte von ihnen ungefähr ſo viel, wie ein Nas¬
horn vom Zitherſpiel. Nicht daß ich ſolche etwa
nicht von jeher gern geſehen hätte, wenn ich
unbemerkt und ohne Aufwand von Mühe nach
ihnen ſchielen konnte; doch war es mir äußerſt
zuwider, mit irgend Einer mich in den geringſten
Wortwechſel einzulaſſen, da es mir von jeher
ſchien, als ob es ſämmtlichen Weibern gar nicht
um eine vernunftgemäße, klare und richtige Sache
zu thun wäre, daß es ihnen unmöglich ſei, nur
ſechs Worte lang in guter Ordnung bei der
Stange zu bleiben, ſondern daß ſie einzig darauf
ausgingen, wenn ſie in dieſem Augenblicke etwas
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[53/0065] lich im Stich und ſchliefen wirklich ein. Zum Glück für unſere Neugierde bemerkte der Oberſt dies nicht, hatte überhaupt vergeſſen, vor wem er erzählte und fuhr ohne die niedergeſchlagenen Augen zu erheben, fort, vor den ſchlafenden Frauen zu erzählen, wie Einer, der etwas lange Verſchwiegenes endlich mitzutheilen ſich nicht mehr enthalten kann. »Ich hatte, ſagte er, bis zu dieſer Zeit noch kein Weib näher angeſehen und verſtand oder wußte von ihnen ungefähr ſo viel, wie ein Nas¬ horn vom Zitherſpiel. Nicht daß ich ſolche etwa nicht von jeher gern geſehen hätte, wenn ich unbemerkt und ohne Aufwand von Mühe nach ihnen ſchielen konnte; doch war es mir äußerſt zuwider, mit irgend Einer mich in den geringſten Wortwechſel einzulaſſen, da es mir von jeher ſchien, als ob es ſämmtlichen Weibern gar nicht um eine vernunftgemäße, klare und richtige Sache zu thun wäre, daß es ihnen unmöglich ſei, nur ſechs Worte lang in guter Ordnung bei der Stange zu bleiben, ſondern daß ſie einzig darauf ausgingen, wenn ſie in dieſem Augenblicke etwas Zweckmäßiges und Gutes geſagt haben, gleich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/65>, abgerufen am 23.11.2024.