"Wünsch' guten Abend, liebe Frau Eule! Eifrig auf der Wacht?" sagte er und die Eule erwiederte: "Muß wohl! Wünsch' gleichfalls gu¬ ten Abend! Ihr habt Euch lang nicht sehen lassen, Herr Spiegel!"
"Hat seine Gründe gehabt, werde Euch das erzählen. Hier habe ich Euch ein Mäuschen gebracht, schlecht und recht, wie es die Jahrszeit giebt, wenn Ihr's nicht verschmähen wollt! Ist die Meisterin ausgeritten?"
"Noch nicht, sie will erst gegen Morgen auf ein Stündchen hinaus. Habt Dank für die schöne Maus! Seid doch immer der höfliche Spiegel! Habe hier einen schlechten Sperling zur Seite gelegt, der mir heut zu nahe flog; wenn Euch beliebt, so kostet den Vogel! Und wie ist es Euch denn ergangen?"
"Fast wunderlich, erwiederte Spiegel, sie wollten mir an den Kragen. Hört, wenn es Euch gefällig ist." Während sie nun vergnüg¬ lich ihr Abendessen einnahmen, erzählte Spiegel der aufmerksamen Eule Alles, was ihn betroffen und wie er sich aus den Händen des Herrn Pineiß befreit habe. Die Eule sagte: "Da
»Wünſch' guten Abend, liebe Frau Eule! Eifrig auf der Wacht?« ſagte er und die Eule erwiederte: »Muß wohl! Wünſch' gleichfalls gu¬ ten Abend! Ihr habt Euch lang nicht ſehen laſſen, Herr Spiegel!«
»Hat ſeine Gründe gehabt, werde Euch das erzählen. Hier habe ich Euch ein Mäuschen gebracht, ſchlecht und recht, wie es die Jahrszeit giebt, wenn Ihr's nicht verſchmähen wollt! Iſt die Meiſterin ausgeritten?«
»Noch nicht, ſie will erſt gegen Morgen auf ein Stündchen hinaus. Habt Dank für die ſchöne Maus! Seid doch immer der höfliche Spiegel! Habe hier einen ſchlechten Sperling zur Seite gelegt, der mir heut zu nahe flog; wenn Euch beliebt, ſo koſtet den Vogel! Und wie iſt es Euch denn ergangen?«
»Faſt wunderlich, erwiederte Spiegel, ſie wollten mir an den Kragen. Hört, wenn es Euch gefällig iſt.« Während ſie nun vergnüg¬ lich ihr Abendeſſen einnahmen, erzählte Spiegel der aufmerkſamen Eule Alles, was ihn betroffen und wie er ſich aus den Händen des Herrn Pineiß befreit habe. Die Eule ſagte: »Da
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»Wünſch' guten Abend, liebe Frau Eule!
Eifrig auf der Wacht?« ſagte er und die Eule
erwiederte: »Muß wohl! Wünſch' gleichfalls gu¬
ten Abend! Ihr habt Euch lang nicht ſehen
laſſen, Herr Spiegel!«
»Hat ſeine Gründe gehabt, werde Euch das
erzählen. Hier habe ich Euch ein Mäuschen
gebracht, ſchlecht und recht, wie es die Jahrszeit
giebt, wenn Ihr's nicht verſchmähen wollt! Iſt
die Meiſterin ausgeritten?«
»Noch nicht, ſie will erſt gegen Morgen
auf ein Stündchen hinaus. Habt Dank für die
ſchöne Maus! Seid doch immer der höfliche
Spiegel! Habe hier einen ſchlechten Sperling
zur Seite gelegt, der mir heut zu nahe flog;
wenn Euch beliebt, ſo koſtet den Vogel! Und
wie iſt es Euch denn ergangen?«
»Faſt wunderlich, erwiederte Spiegel, ſie
wollten mir an den Kragen. Hört, wenn es
Euch gefällig iſt.« Während ſie nun vergnüg¬
lich ihr Abendeſſen einnahmen, erzählte Spiegel
der aufmerkſamen Eule Alles, was ihn betroffen
und wie er ſich aus den Händen des Herrn
Pineiß befreit habe. Die Eule ſagte: »Da
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/524>, abgerufen am 29.11.2024.
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