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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Leben versichert! Daher nehmt diese Schnur
weg und legt den Kontrakt hier auf den Brun¬
nen, hier auf diesen Stein, oder schneidet mir
den Kopf ab, Eins von Beiden!"

"Ei Du Tollhäusler und Obenhinaus! sagte
Pineiß, Du Hitzkopf! so streng wird es nicht
gemeint sein? Das will ordentlich besprochen
sein und muß jedenfalls ein neuer Vertrag ge¬
schlossen werden!" Spiegel gab keine Antwort
mehr und saß unbeweglich da, ein, zwei und
drei Minuten. Da ward dem Meister bänglich,
er zog seine Brieftasche hervor, klaubte seufzend
den Schein heraus, las ihn noch einmal durch
und legte ihn dann zögernd vor Spiegel hin.
Kaum lag das Papier dort, so schnappte es
Spiegel auf und verschlang es; und obgleich
er heftig daran zu würgen hatte, so dünkte es
ihn doch die beste und gedeihlichste Speise zu
sein, die er je genossen, und er hoffte, daß sie
ihm noch auf lange wohl bekommen und ihn
rundlich und munter machen würde. Als er
mit der angenehmen Mahlzeit fertig war, be¬
grüßte er den Hexenmeister höflich und sagte:
"Ihr werdet unfehlbar von mir hören, Herr

Leben verſichert! Daher nehmt dieſe Schnur
weg und legt den Kontrakt hier auf den Brun¬
nen, hier auf dieſen Stein, oder ſchneidet mir
den Kopf ab, Eins von Beiden!«

»Ei Du Tollhäusler und Obenhinaus! ſagte
Pineiß, Du Hitzkopf! ſo ſtreng wird es nicht
gemeint ſein? Das will ordentlich beſprochen
ſein und muß jedenfalls ein neuer Vertrag ge¬
ſchloſſen werden!« Spiegel gab keine Antwort
mehr und ſaß unbeweglich da, ein, zwei und
drei Minuten. Da ward dem Meiſter bänglich,
er zog ſeine Brieftaſche hervor, klaubte ſeufzend
den Schein heraus, las ihn noch einmal durch
und legte ihn dann zögernd vor Spiegel hin.
Kaum lag das Papier dort, ſo ſchnappte es
Spiegel auf und verſchlang es; und obgleich
er heftig daran zu würgen hatte, ſo dünkte es
ihn doch die beſte und gedeihlichſte Speiſe zu
ſein, die er je genoſſen, und er hoffte, daß ſie
ihm noch auf lange wohl bekommen und ihn
rundlich und munter machen würde. Als er
mit der angenehmen Mahlzeit fertig war, be¬
grüßte er den Hexenmeiſter höflich und ſagte:
»Ihr werdet unfehlbar von mir hören, Herr

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[507/0519] Leben verſichert! Daher nehmt dieſe Schnur weg und legt den Kontrakt hier auf den Brun¬ nen, hier auf dieſen Stein, oder ſchneidet mir den Kopf ab, Eins von Beiden!« »Ei Du Tollhäusler und Obenhinaus! ſagte Pineiß, Du Hitzkopf! ſo ſtreng wird es nicht gemeint ſein? Das will ordentlich beſprochen ſein und muß jedenfalls ein neuer Vertrag ge¬ ſchloſſen werden!« Spiegel gab keine Antwort mehr und ſaß unbeweglich da, ein, zwei und drei Minuten. Da ward dem Meiſter bänglich, er zog ſeine Brieftaſche hervor, klaubte ſeufzend den Schein heraus, las ihn noch einmal durch und legte ihn dann zögernd vor Spiegel hin. Kaum lag das Papier dort, ſo ſchnappte es Spiegel auf und verſchlang es; und obgleich er heftig daran zu würgen hatte, ſo dünkte es ihn doch die beſte und gedeihlichſte Speiſe zu ſein, die er je genoſſen, und er hoffte, daß ſie ihm noch auf lange wohl bekommen und ihn rundlich und munter machen würde. Als er mit der angenehmen Mahlzeit fertig war, be¬ grüßte er den Hexenmeiſter höflich und ſagte: »Ihr werdet unfehlbar von mir hören, Herr

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/519>, abgerufen am 28.11.2024.