"Quäle mich nicht, Spiegelchen!" sprach Pineiß beinahe weinerlich, und Spiegel erwiederte jetzt ernsthaft: "Ihr seid ein wunderbarer Mensch, Herr Pineiß! Da haltet Ihr mich an einer Schnur gefangen und zerrt daran, daß mir der Athem vergeht! Ihr lasset das Schwert des Todes über mir schweben seit länger als zwei Stunden, was sag' ich! seit einem halben Jahre! und nun sprecht Ihr: Quäle mich nicht, Spiegelchen!
Wenn Ihr erlaubt, so sage ich Euch in Kürze: Es kann mir nur lieb sein, jene Liebes¬ pflicht gegen die Todte doch noch zu erfüllen und für das bewußte Frauenzimmer einen taug¬ lichen Mann zu finden und Ihr scheint mir allerdings in aller Hinsicht zu genügen; es ist keine Leichtig¬ keit, ein Weibstück wohl unterzubringen, so sehr dies auch scheint, und ich sage noch einmal: ich bin froh, daß Ihr euch hierzu bereit finden lasset! Aber umsonst ist der Tod! Eh' ich ein Wort weiter spreche, einen Schritt thue, ja eh' ich nur den Mund noch einmal aufmache, will ich erst meine Freiheit wieder haben und mein
»So thu' ich's.«
»Quäle mich nicht, Spiegelchen!« ſprach Pineiß beinahe weinerlich, und Spiegel erwiederte jetzt ernſthaft: »Ihr ſeid ein wunderbarer Menſch, Herr Pineiß! Da haltet Ihr mich an einer Schnur gefangen und zerrt daran, daß mir der Athem vergeht! Ihr laſſet das Schwert des Todes über mir ſchweben ſeit länger als zwei Stunden, was ſag' ich! ſeit einem halben Jahre! und nun ſprecht Ihr: Quäle mich nicht, Spiegelchen!
Wenn Ihr erlaubt, ſo ſage ich Euch in Kürze: Es kann mir nur lieb ſein, jene Liebes¬ pflicht gegen die Todte doch noch zu erfüllen und für das bewußte Frauenzimmer einen taug¬ lichen Mann zu finden und Ihr ſcheint mir allerdings in aller Hinſicht zu genügen; es iſt keine Leichtig¬ keit, ein Weibſtück wohl unterzubringen, ſo ſehr dies auch ſcheint, und ich ſage noch einmal: ich bin froh, daß Ihr euch hierzu bereit finden laſſet! Aber umſonſt iſt der Tod! Eh' ich ein Wort weiter ſpreche, einen Schritt thue, ja eh' ich nur den Mund noch einmal aufmache, will ich erſt meine Freiheit wieder haben und mein
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»So thu' ich's.«
»Quäle mich nicht, Spiegelchen!« ſprach
Pineiß beinahe weinerlich, und Spiegel erwiederte
jetzt ernſthaft: »Ihr ſeid ein wunderbarer Menſch,
Herr Pineiß! Da haltet Ihr mich an einer
Schnur gefangen und zerrt daran, daß mir der
Athem vergeht! Ihr laſſet das Schwert des
Todes über mir ſchweben ſeit länger als zwei
Stunden, was ſag' ich! ſeit einem halben Jahre!
und nun ſprecht Ihr: Quäle mich nicht,
Spiegelchen!
Wenn Ihr erlaubt, ſo ſage ich Euch in
Kürze: Es kann mir nur lieb ſein, jene Liebes¬
pflicht gegen die Todte doch noch zu erfüllen
und für das bewußte Frauenzimmer einen taug¬
lichen Mann zu finden und Ihr ſcheint mir allerdings
in aller Hinſicht zu genügen; es iſt keine Leichtig¬
keit, ein Weibſtück wohl unterzubringen, ſo ſehr
dies auch ſcheint, und ich ſage noch einmal:
ich bin froh, daß Ihr euch hierzu bereit finden
laſſet! Aber umſonſt iſt der Tod! Eh' ich ein
Wort weiter ſpreche, einen Schritt thue, ja eh'
ich nur den Mund noch einmal aufmache, will
ich erſt meine Freiheit wieder haben und mein
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/518>, abgerufen am 28.11.2024.
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