Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

schmählich um seinen Gewinn gebracht war, sprang
er wie besessen in die Höhe und schrie wüthend:
"Was seh' ich? Du Schelm, Du gewissenloser
Spitzbube! Was hast Du mir gethan?" Außer
sich vor Zorn griff er nach einem Besen und
wollte Spiegelein schlagen; aber dieser krümmte
den schwarzen Rücken, ließ die Haare empor
starren, daß ein fahler Schein darüber knisterte,
legte die Ohren zurück, prustete und funkelte den
Alten so grimmig an, daß dieser voll Furcht
und Entsetzen drei Schritt zurück sprang. Er begann
zu fürchten, daß er einen Hexenmeister vor sich habe,
welcher ihn foppe und mehr könne, als er selbst.
Ungewiß und kleinlaut sagte er: "Ist der ehr¬
same Herr Spiegel vielleicht vom Handwerk?
Sollte ein gelehrter Zaubermeister beliebt haben,
sich in dero äußere Gestalt zu verkleiden, da er
nach Gefallen über sein Leibliches gebieten und
genau so beleibt werden kann, als es ihm an¬
genehm dünkt, nicht zu wenig und nicht zu viel,
oder unversehens so mager wird, wie ein Ge¬
rippe, um dem Tode zu entschlüpfen?"

Spiegel beruhigte sich wieder und sprach
ehrlich: "Nein, ich bin kein Zauberer! Es ist

ſchmählich um ſeinen Gewinn gebracht war, ſprang
er wie beſeſſen in die Höhe und ſchrie wüthend:
»Was ſeh' ich? Du Schelm, Du gewiſſenloſer
Spitzbube! Was haſt Du mir gethan?« Außer
ſich vor Zorn griff er nach einem Beſen und
wollte Spiegelein ſchlagen; aber dieſer krümmte
den ſchwarzen Rücken, ließ die Haare empor
ſtarren, daß ein fahler Schein darüber kniſterte,
legte die Ohren zurück, pruſtete und funkelte den
Alten ſo grimmig an, daß dieſer voll Furcht
und Entſetzen drei Schritt zurück ſprang. Er begann
zu fürchten, daß er einen Hexenmeiſter vor ſich habe,
welcher ihn foppe und mehr könne, als er ſelbſt.
Ungewiß und kleinlaut ſagte er: »Iſt der ehr¬
ſame Herr Spiegel vielleicht vom Handwerk?
Sollte ein gelehrter Zaubermeiſter beliebt haben,
ſich in dero äußere Geſtalt zu verkleiden, da er
nach Gefallen über ſein Leibliches gebieten und
genau ſo beleibt werden kann, als es ihm an¬
genehm dünkt, nicht zu wenig und nicht zu viel,
oder unverſehens ſo mager wird, wie ein Ge¬
rippe, um dem Tode zu entſchlüpfen?«

Spiegel beruhigte ſich wieder und ſprach
ehrlich: »Nein, ich bin kein Zauberer! Es iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0482" n="470"/>
&#x017F;chmählich um &#x017F;einen Gewinn gebracht war, &#x017F;prang<lb/>
er wie be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en in die Höhe und &#x017F;chrie wüthend:<lb/>
»Was &#x017F;eh' ich? Du Schelm, Du gewi&#x017F;&#x017F;enlo&#x017F;er<lb/>
Spitzbube! Was ha&#x017F;t Du mir gethan?« Außer<lb/>
&#x017F;ich vor Zorn griff er nach einem Be&#x017F;en und<lb/>
wollte Spiegelein &#x017F;chlagen; aber die&#x017F;er krümmte<lb/>
den &#x017F;chwarzen Rücken, ließ die Haare empor<lb/>
&#x017F;tarren, daß ein fahler Schein darüber kni&#x017F;terte,<lb/>
legte die Ohren zurück, pru&#x017F;tete und funkelte den<lb/>
Alten &#x017F;o grimmig an, daß die&#x017F;er voll Furcht<lb/>
und Ent&#x017F;etzen drei Schritt zurück &#x017F;prang. Er begann<lb/>
zu fürchten, daß er einen Hexenmei&#x017F;ter vor &#x017F;ich habe,<lb/>
welcher ihn foppe und mehr könne, als er &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Ungewiß und kleinlaut &#x017F;agte er: »I&#x017F;t der ehr¬<lb/>
&#x017F;ame Herr Spiegel vielleicht vom Handwerk?<lb/>
Sollte ein gelehrter Zaubermei&#x017F;ter beliebt haben,<lb/>
&#x017F;ich in dero äußere Ge&#x017F;talt zu verkleiden, da er<lb/>
nach Gefallen über &#x017F;ein Leibliches gebieten und<lb/>
genau &#x017F;o beleibt werden kann, als es ihm an¬<lb/>
genehm dünkt, nicht zu wenig und nicht zu viel,<lb/>
oder unver&#x017F;ehens &#x017F;o mager wird, wie ein Ge¬<lb/>
rippe, um dem Tode zu ent&#x017F;chlüpfen?«</p><lb/>
          <p>Spiegel beruhigte &#x017F;ich wieder und &#x017F;prach<lb/>
ehrlich: »Nein, ich bin kein Zauberer! Es i&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[470/0482] ſchmählich um ſeinen Gewinn gebracht war, ſprang er wie beſeſſen in die Höhe und ſchrie wüthend: »Was ſeh' ich? Du Schelm, Du gewiſſenloſer Spitzbube! Was haſt Du mir gethan?« Außer ſich vor Zorn griff er nach einem Beſen und wollte Spiegelein ſchlagen; aber dieſer krümmte den ſchwarzen Rücken, ließ die Haare empor ſtarren, daß ein fahler Schein darüber kniſterte, legte die Ohren zurück, pruſtete und funkelte den Alten ſo grimmig an, daß dieſer voll Furcht und Entſetzen drei Schritt zurück ſprang. Er begann zu fürchten, daß er einen Hexenmeiſter vor ſich habe, welcher ihn foppe und mehr könne, als er ſelbſt. Ungewiß und kleinlaut ſagte er: »Iſt der ehr¬ ſame Herr Spiegel vielleicht vom Handwerk? Sollte ein gelehrter Zaubermeiſter beliebt haben, ſich in dero äußere Geſtalt zu verkleiden, da er nach Gefallen über ſein Leibliches gebieten und genau ſo beleibt werden kann, als es ihm an¬ genehm dünkt, nicht zu wenig und nicht zu viel, oder unverſehens ſo mager wird, wie ein Ge¬ rippe, um dem Tode zu entſchlüpfen?« Spiegel beruhigte ſich wieder und ſprach ehrlich: »Nein, ich bin kein Zauberer! Es iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/482
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/482>, abgerufen am 25.11.2024.