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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Magen und mußte wirklich auf das Dach ge¬
hen, um dort von den grünen Gräsern abzu¬
beißen und sich von allerhand Unwohlsein zu
kuriren. Als der Meister diesen Heißhunger
bemerkte, freute er sich und dachte, das Kätzchen
würde solcherweise recht bald fett werden, und
je besser er daran wende, desto klüger verfahre
und spare er im Ganzen. Er baute daher für
Spiegel eine ordentliche Landschaft in seiner
Stube, indem er ein Wäldchen von Tannen¬
bäumchen aufstellte, kleine Hügel von Steinen
und Moos errichtete und einen kleinen See an¬
legte. Auf die Bäumchen setzte er duftig ge¬
bratene Lerchen, Finken, Meisen und Sperlinge,
je nach der Jahrszeit, so daß da Spiegel im¬
mer etwas herunter zu holen und zu knabbern
vorfand. In die kleinen Berge versteckte er in
künstlichen Mauslöchern herrliche Mäuse, welche
er sorgfältig mit Waizenmehl gemästet, dann
ausgeweidet, mit zarten Speckriemchen gespickt
und gebraten hatte. Einige dieser Mäuse konnte
Spiegel mit der Hand hervorholen, andere wa¬
ren zur Erhöhung des Vergnügens tiefer ver¬
borgen, aber an einen Faden gebunden, an wel¬

Magen und mußte wirklich auf das Dach ge¬
hen, um dort von den grünen Gräſern abzu¬
beißen und ſich von allerhand Unwohlſein zu
kuriren. Als der Meiſter dieſen Heißhunger
bemerkte, freute er ſich und dachte, das Kätzchen
würde ſolcherweiſe recht bald fett werden, und
je beſſer er daran wende, deſto klüger verfahre
und ſpare er im Ganzen. Er baute daher für
Spiegel eine ordentliche Landſchaft in ſeiner
Stube, indem er ein Wäldchen von Tannen¬
bäumchen aufſtellte, kleine Hügel von Steinen
und Moos errichtete und einen kleinen See an¬
legte. Auf die Bäumchen ſetzte er duftig ge¬
bratene Lerchen, Finken, Meiſen und Sperlinge,
je nach der Jahrszeit, ſo daß da Spiegel im¬
mer etwas herunter zu holen und zu knabbern
vorfand. In die kleinen Berge verſteckte er in
künſtlichen Mauslöchern herrliche Mäuſe, welche
er ſorgfältig mit Waizenmehl gemäſtet, dann
ausgeweidet, mit zarten Speckriemchen geſpickt
und gebraten hatte. Einige dieſer Mäuſe konnte
Spiegel mit der Hand hervorholen, andere wa¬
ren zur Erhöhung des Vergnügens tiefer ver¬
borgen, aber an einen Faden gebunden, an wel¬

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[460/0472] Magen und mußte wirklich auf das Dach ge¬ hen, um dort von den grünen Gräſern abzu¬ beißen und ſich von allerhand Unwohlſein zu kuriren. Als der Meiſter dieſen Heißhunger bemerkte, freute er ſich und dachte, das Kätzchen würde ſolcherweiſe recht bald fett werden, und je beſſer er daran wende, deſto klüger verfahre und ſpare er im Ganzen. Er baute daher für Spiegel eine ordentliche Landſchaft in ſeiner Stube, indem er ein Wäldchen von Tannen¬ bäumchen aufſtellte, kleine Hügel von Steinen und Moos errichtete und einen kleinen See an¬ legte. Auf die Bäumchen ſetzte er duftig ge¬ bratene Lerchen, Finken, Meiſen und Sperlinge, je nach der Jahrszeit, ſo daß da Spiegel im¬ mer etwas herunter zu holen und zu knabbern vorfand. In die kleinen Berge verſteckte er in künſtlichen Mauslöchern herrliche Mäuſe, welche er ſorgfältig mit Waizenmehl gemäſtet, dann ausgeweidet, mit zarten Speckriemchen geſpickt und gebraten hatte. Einige dieſer Mäuſe konnte Spiegel mit der Hand hervorholen, andere wa¬ ren zur Erhöhung des Vergnügens tiefer ver¬ borgen, aber an einen Faden gebunden, an wel¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/472>, abgerufen am 25.11.2024.