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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sie einen grün seidenen großen Ritikül, welchen
sie mit gedörrten Birnen und Pflaumen gefüllt
hatte, und hielt ein Sonnenschirmchen ausge¬
spannt, auf welchem oben eine große Lyra aus
Elfenbein stand. Sie hatte auch ihr Medaillon
mit dem blonden Haardenkmal umgehängt und
das goldene Vergißmeinnicht vorgesteckt und trug
weiße gestrickte Handschuhe. Sie sah freundlich
und zart aus in all' diesem Schmuck, ihr Ant¬
litz war leicht geröthet und ihr Busen schien sich
höher als sonst zu heben, und die ausziehenden
Nebenbuhler wußten sich nicht zu lassen vor Weh¬
muth und Betrübniß, denn die äußerste Lage
der Dinge, der schöne Frühlingstag, der ihren
Auszug beschien und Züsis Putz mischten in ihre
gespannten Empfindungen fast etwas von dem,
was man wirklich Liebe nennt. Vor dem Thore
ermahnte aber die freundliche Jungfrau ihre Lieb¬
haber, die Felleisen auf die Räderchen zu stellen
und zu ziehen, damit sie sich nicht unnöthiger
Weise ermüdeten. Sie thaten es und als sie
hinter dem Städtlein hinaus die Berge hinan
fuhren, war es fast wie ein Artilleriewesen, das
da hinauffuhrwerkte, um oben eine Batterie zu

ſie einen grün ſeidenen großen Ritikül, welchen
ſie mit gedörrten Birnen und Pflaumen gefüllt
hatte, und hielt ein Sonnenſchirmchen ausge¬
ſpannt, auf welchem oben eine große Lyra aus
Elfenbein ſtand. Sie hatte auch ihr Medaillon
mit dem blonden Haardenkmal umgehängt und
das goldene Vergißmeinnicht vorgeſteckt und trug
weiße geſtrickte Handſchuhe. Sie ſah freundlich
und zart aus in all' dieſem Schmuck, ihr Ant¬
litz war leicht geröthet und ihr Buſen ſchien ſich
höher als ſonſt zu heben, und die ausziehenden
Nebenbuhler wußten ſich nicht zu laſſen vor Weh¬
muth und Betrübniß, denn die äußerſte Lage
der Dinge, der ſchöne Frühlingstag, der ihren
Auszug beſchien und Züſis Putz miſchten in ihre
geſpannten Empfindungen faſt etwas von dem,
was man wirklich Liebe nennt. Vor dem Thore
ermahnte aber die freundliche Jungfrau ihre Lieb¬
haber, die Felleiſen auf die Räderchen zu ſtellen
und zu ziehen, damit ſie ſich nicht unnöthiger
Weiſe ermüdeten. Sie thaten es und als ſie
hinter dem Städtlein hinaus die Berge hinan
fuhren, war es faſt wie ein Artillerieweſen, das
da hinauffuhrwerkte, um oben eine Batterie zu

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[416/0428] ſie einen grün ſeidenen großen Ritikül, welchen ſie mit gedörrten Birnen und Pflaumen gefüllt hatte, und hielt ein Sonnenſchirmchen ausge¬ ſpannt, auf welchem oben eine große Lyra aus Elfenbein ſtand. Sie hatte auch ihr Medaillon mit dem blonden Haardenkmal umgehängt und das goldene Vergißmeinnicht vorgeſteckt und trug weiße geſtrickte Handſchuhe. Sie ſah freundlich und zart aus in all' dieſem Schmuck, ihr Ant¬ litz war leicht geröthet und ihr Buſen ſchien ſich höher als ſonſt zu heben, und die ausziehenden Nebenbuhler wußten ſich nicht zu laſſen vor Weh¬ muth und Betrübniß, denn die äußerſte Lage der Dinge, der ſchöne Frühlingstag, der ihren Auszug beſchien und Züſis Putz miſchten in ihre geſpannten Empfindungen faſt etwas von dem, was man wirklich Liebe nennt. Vor dem Thore ermahnte aber die freundliche Jungfrau ihre Lieb¬ haber, die Felleiſen auf die Räderchen zu ſtellen und zu ziehen, damit ſie ſich nicht unnöthiger Weiſe ermüdeten. Sie thaten es und als ſie hinter dem Städtlein hinaus die Berge hinan fuhren, war es faſt wie ein Artillerieweſen, das da hinauffuhrwerkte, um oben eine Batterie zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/428>, abgerufen am 25.11.2024.