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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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da ihm die Welt offen stehe und ihm, nachdem
er in ihrem Umgange, in ihrer Schule so sehr
sein Herz veredelt habe, gewiß noch das schönste
Glück lachen werde, während sie ihn nie ver¬
gessen und sich der Einsamkeit ergeben wolle.
Er weinte wahrhaftige Thränen, als er sich so
schicken ließ und aus dem Städtlein zog. Sein
Werk dagegen thronte seitdem auf Züsis altvä¬
terischer Komode, von einem meergrünen Gaze¬
schleier bedeckt, dem Staub und allen unwürdigen
Blicken entzogen. Sie hielt es so heilig, daß
sie es ungebraucht und neu erhielt und gar nichts
in die Behältnisse steckte, auch nannte sie den
Urheber desselben in der Erinnerung Emanuel,
während er Veit geheißen, und sagte Jedermann,
nur Emanuel habe sie verstanden und ihr Wesen
erfaßt. Nur ihm selber hatte sie das selten zu¬
gestanden, sondern ihn in ihrem strengen Sinne
kurz gehalten und zur höheren Anspornung ihm
häufig gezeigt, daß er sie am wenigsten verstehe,
wenn er sich am meisten einbilde, es zu thun.
Dagegen spielte er ihr auch einen Streich, und
legte in einem doppelten Boden, auf dem inner¬
sten Grunde des Tempels, den allerschönsten

da ihm die Welt offen ſtehe und ihm, nachdem
er in ihrem Umgange, in ihrer Schule ſo ſehr
ſein Herz veredelt habe, gewiß noch das ſchönſte
Glück lachen werde, während ſie ihn nie ver¬
geſſen und ſich der Einſamkeit ergeben wolle.
Er weinte wahrhaftige Thränen, als er ſich ſo
ſchicken ließ und aus dem Städtlein zog. Sein
Werk dagegen thronte ſeitdem auf Züſis altvä¬
teriſcher Komode, von einem meergrünen Gaze¬
ſchleier bedeckt, dem Staub und allen unwürdigen
Blicken entzogen. Sie hielt es ſo heilig, daß
ſie es ungebraucht und neu erhielt und gar nichts
in die Behältniſſe ſteckte, auch nannte ſie den
Urheber deſſelben in der Erinnerung Emanuel,
während er Veit geheißen, und ſagte Jedermann,
nur Emanuel habe ſie verſtanden und ihr Weſen
erfaßt. Nur ihm ſelber hatte ſie das ſelten zu¬
geſtanden, ſondern ihn in ihrem ſtrengen Sinne
kurz gehalten und zur höheren Anſpornung ihm
häufig gezeigt, daß er ſie am wenigſten verſtehe,
wenn er ſich am meiſten einbilde, es zu thun.
Dagegen ſpielte er ihr auch einen Streich, und
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[394/0406] da ihm die Welt offen ſtehe und ihm, nachdem er in ihrem Umgange, in ihrer Schule ſo ſehr ſein Herz veredelt habe, gewiß noch das ſchönſte Glück lachen werde, während ſie ihn nie ver¬ geſſen und ſich der Einſamkeit ergeben wolle. Er weinte wahrhaftige Thränen, als er ſich ſo ſchicken ließ und aus dem Städtlein zog. Sein Werk dagegen thronte ſeitdem auf Züſis altvä¬ teriſcher Komode, von einem meergrünen Gaze¬ ſchleier bedeckt, dem Staub und allen unwürdigen Blicken entzogen. Sie hielt es ſo heilig, daß ſie es ungebraucht und neu erhielt und gar nichts in die Behältniſſe ſteckte, auch nannte ſie den Urheber deſſelben in der Erinnerung Emanuel, während er Veit geheißen, und ſagte Jedermann, nur Emanuel habe ſie verſtanden und ihr Weſen erfaßt. Nur ihm ſelber hatte ſie das ſelten zu¬ geſtanden, ſondern ihn in ihrem ſtrengen Sinne kurz gehalten und zur höheren Anſpornung ihm häufig gezeigt, daß er ſie am wenigſten verſtehe, wenn er ſich am meiſten einbilde, es zu thun. Dagegen ſpielte er ihr auch einen Streich, und legte in einem doppelten Boden, auf dem inner¬ ſten Grunde des Tempels, den allerſchönſten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/406>, abgerufen am 27.11.2024.