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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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nem Munde nach der aufgehenden Thüre sehend.
Unter dieser stand der fremde Pankrazius mit
dem dürren und harten Ernste eines fremden
Kriegsmannes, nur zuckte es ihm seltsam um
die Augen, indessen die Mutter erzitterte bei sei¬
nem Anblick und sich nicht zu helfen wußte und
selbst Estherchen zum ersten Mal gänzlich ver¬
blüfft war und sich nicht zu regen wagte. Doch
alles dies dauerte nur einen Augenblick; der
Herr Oberst, denn nichts Geringeres war der
verlorne Sohn, nahm mit der Höflichkeit und
Achtung, welche ihn die wilde Noth des Lebens
gelehrt, sogleich die Mütze ab, was er nie ge¬
than, wenn er früher in die Stube getreten;
eine unaussprechliche Freundlichkeit, wenigstens
wie es den Frauen vorkam, die ihn nie freund¬
lich gesehen noch also denken konnten, verbreitete
sich über das gefurchte und doch noch nicht alte
Soldatengesicht und ließ schneeweiße Zähne sehen,
als er auf sie zueilte und beide mit ausbrechen¬
dem Herzensweh in die Arme schloß.

Hatte die Mutter erst vor dem martialischen
und vermeintlich immer noch bösen Sohne son¬
derbar gezittert, so zitterte sie jetzt erst recht in

nem Munde nach der aufgehenden Thüre ſehend.
Unter dieſer ſtand der fremde Pankrazius mit
dem dürren und harten Ernſte eines fremden
Kriegsmannes, nur zuckte es ihm ſeltſam um
die Augen, indeſſen die Mutter erzitterte bei ſei¬
nem Anblick und ſich nicht zu helfen wußte und
ſelbſt Eſtherchen zum erſten Mal gänzlich ver¬
blüfft war und ſich nicht zu regen wagte. Doch
alles dies dauerte nur einen Augenblick; der
Herr Oberſt, denn nichts Geringeres war der
verlorne Sohn, nahm mit der Höflichkeit und
Achtung, welche ihn die wilde Noth des Lebens
gelehrt, ſogleich die Mütze ab, was er nie ge¬
than, wenn er früher in die Stube getreten;
eine unausſprechliche Freundlichkeit, wenigſtens
wie es den Frauen vorkam, die ihn nie freund¬
lich geſehen noch alſo denken konnten, verbreitete
ſich über das gefurchte und doch noch nicht alte
Soldatengeſicht und ließ ſchneeweiße Zähne ſehen,
als er auf ſie zueilte und beide mit ausbrechen¬
dem Herzensweh in die Arme ſchloß.

Hatte die Mutter erſt vor dem martialiſchen
und vermeintlich immer noch böſen Sohne ſon¬
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[26/0038] nem Munde nach der aufgehenden Thüre ſehend. Unter dieſer ſtand der fremde Pankrazius mit dem dürren und harten Ernſte eines fremden Kriegsmannes, nur zuckte es ihm ſeltſam um die Augen, indeſſen die Mutter erzitterte bei ſei¬ nem Anblick und ſich nicht zu helfen wußte und ſelbſt Eſtherchen zum erſten Mal gänzlich ver¬ blüfft war und ſich nicht zu regen wagte. Doch alles dies dauerte nur einen Augenblick; der Herr Oberſt, denn nichts Geringeres war der verlorne Sohn, nahm mit der Höflichkeit und Achtung, welche ihn die wilde Noth des Lebens gelehrt, ſogleich die Mütze ab, was er nie ge¬ than, wenn er früher in die Stube getreten; eine unausſprechliche Freundlichkeit, wenigſtens wie es den Frauen vorkam, die ihn nie freund¬ lich geſehen noch alſo denken konnten, verbreitete ſich über das gefurchte und doch noch nicht alte Soldatengeſicht und ließ ſchneeweiße Zähne ſehen, als er auf ſie zueilte und beide mit ausbrechen¬ dem Herzensweh in die Arme ſchloß. Hatte die Mutter erſt vor dem martialiſchen und vermeintlich immer noch böſen Sohne ſon¬ derbar gezittert, ſo zitterte ſie jetzt erſt recht in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/38>, abgerufen am 24.11.2024.