zutage junge Leutchen zu trennen und auseinan¬ der zu bringen sind, wenn ihre Neigung irgend außer der Berechnung liegt, sind zehnmal wider¬ wärtiger, als jene Unglücksfälle, welche jetzt die Protokolle der Polizeibehörden füllen und ehedem die Schreibtafeln der Balladensänger füllten. Wir sehen alle Tage etwa einen wohlgekleideten Herrn, der seine Frau oder Braut mitten auf der Straße plötzlich stehen läßt und auf die Seite springt, weil irgend einem Schlächter eine alte Kuh entsprungen ist und bedrohlich dahergerannt kommt. Höchstens aus der Ferne, hinter einer Hausthür hervor, schwingt er sein Stöckchen und macht: Bscht! Bscht! Solche Leute werden sich allerdings nicht aus Eigensinn und Leidenschaft um's Leben bringen, wenn man sie trennen will. Ebensowenig diejenigen, welche in allen Zeitun¬ gen ihre "stattgefundene" Verlobung anzeigen und vierzehn Tage darauf einen Inseratenkrieg führen, wo jeder Part sich rühmt und behaup¬ tet, das "Verhältniß" zuerst abgebrochen zu haben.
zutage junge Leutchen zu trennen und auseinan¬ der zu bringen ſind, wenn ihre Neigung irgend außer der Berechnung liegt, ſind zehnmal wider¬ wärtiger, als jene Unglücksfälle, welche jetzt die Protokolle der Polizeibehörden füllen und ehedem die Schreibtafeln der Balladenſänger füllten. Wir ſehen alle Tage etwa einen wohlgekleideten Herrn, der ſeine Frau oder Braut mitten auf der Straße plötzlich ſtehen läßt und auf die Seite ſpringt, weil irgend einem Schlächter eine alte Kuh entſprungen iſt und bedrohlich dahergerannt kommt. Höchſtens aus der Ferne, hinter einer Hausthür hervor, ſchwingt er ſein Stöckchen und macht: Bſcht! Bſcht! Solche Leute werden ſich allerdings nicht aus Eigenſinn und Leidenſchaft um's Leben bringen, wenn man ſie trennen will. Ebenſowenig diejenigen, welche in allen Zeitun¬ gen ihre »ſtattgefundene« Verlobung anzeigen und vierzehn Tage darauf einen Inſeratenkrieg führen, wo jeder Part ſich rühmt und behaup¬ tet, das »Verhältniß« zuerſt abgebrochen zu haben.
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zutage junge Leutchen zu trennen und auseinan¬
der zu bringen ſind, wenn ihre Neigung irgend
außer der Berechnung liegt, ſind zehnmal wider¬
wärtiger, als jene Unglücksfälle, welche jetzt die
Protokolle der Polizeibehörden füllen und ehedem
die Schreibtafeln der Balladenſänger füllten. Wir
ſehen alle Tage etwa einen wohlgekleideten
Herrn, der ſeine Frau oder Braut mitten auf der
Straße plötzlich ſtehen läßt und auf die Seite
ſpringt, weil irgend einem Schlächter eine alte
Kuh entſprungen iſt und bedrohlich dahergerannt
kommt. Höchſtens aus der Ferne, hinter einer
Hausthür hervor, ſchwingt er ſein Stöckchen und
macht: Bſcht! Bſcht! Solche Leute werden ſich
allerdings nicht aus Eigenſinn und Leidenſchaft
um's Leben bringen, wenn man ſie trennen will.
Ebenſowenig diejenigen, welche in allen Zeitun¬
gen ihre »ſtattgefundene« Verlobung anzeigen
und vierzehn Tage darauf einen Inſeratenkrieg
führen, wo jeder Part ſich rühmt und behaup¬
tet, das »Verhältniß« zuerſt abgebrochen zu
haben.
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/371>, abgerufen am 28.11.2024.
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