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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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doch, seht! Wo die wohl hinaus wollen?" Die
Verwunderung dieser Zuschauer war ganz seltsam
gemischt aus Mitleid mit dem Unglück, aus Ver¬
achtung der Verkommenheit und Schlechtigkeit
der Ältern und aus Neid gegen das Glück und
die Einigkeit des Paares, welches auf eine ganz
ungewöhnliche und fast vornehme Weise verliebt
und aufgeregt schien und in dieser rückhaltlosen
Hingebung und Selbstvergessenheit dem rohen
Völkchen eben so fremd erschien, wie in seiner
Verlassenheit und Armuth. Als sie daher endlich
aufwachten und um sich sahen, erschauten sie
nichts als gaffende Gesichter von allen Seiten,
Niemand grüßte sie und sie wußten nicht, sollten
sie Jemand grüßen und diese Verfremdung und
Unfreundlichkeit war von beiden Seiten mehr
Verlegenheit als Absicht. Es wurde Vrenchen
bang und heiß, es wurde bleich und roth, Sali
nahm es aber bei der Hand und führte das
arme Wesen hinweg, das ihm mit seinem Haus
in der Hand willig folgte, obgleich die Trompe¬
ten im Wirthshause lustig schmetterten und
Vrenchen so gern tanzen wollte. "Hier können
wir nicht tanzen! sagte Sali, als sie sich etwas

doch, ſeht! Wo die wohl hinaus wollen?« Die
Verwunderung dieſer Zuſchauer war ganz ſeltſam
gemiſcht aus Mitleid mit dem Unglück, aus Ver¬
achtung der Verkommenheit und Schlechtigkeit
der Ältern und aus Neid gegen das Glück und
die Einigkeit des Paares, welches auf eine ganz
ungewöhnliche und faſt vornehme Weiſe verliebt
und aufgeregt ſchien und in dieſer rückhaltloſen
Hingebung und Selbſtvergeſſenheit dem rohen
Völkchen eben ſo fremd erſchien, wie in ſeiner
Verlaſſenheit und Armuth. Als ſie daher endlich
aufwachten und um ſich ſahen, erſchauten ſie
nichts als gaffende Geſichter von allen Seiten,
Niemand grüßte ſie und ſie wußten nicht, ſollten
ſie Jemand grüßen und dieſe Verfremdung und
Unfreundlichkeit war von beiden Seiten mehr
Verlegenheit als Abſicht. Es wurde Vrenchen
bang und heiß, es wurde bleich und roth, Sali
nahm es aber bei der Hand und führte das
arme Weſen hinweg, das ihm mit ſeinem Haus
in der Hand willig folgte, obgleich die Trompe¬
ten im Wirthshauſe luſtig ſchmetterten und
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[332/0344] doch, ſeht! Wo die wohl hinaus wollen?« Die Verwunderung dieſer Zuſchauer war ganz ſeltſam gemiſcht aus Mitleid mit dem Unglück, aus Ver¬ achtung der Verkommenheit und Schlechtigkeit der Ältern und aus Neid gegen das Glück und die Einigkeit des Paares, welches auf eine ganz ungewöhnliche und faſt vornehme Weiſe verliebt und aufgeregt ſchien und in dieſer rückhaltloſen Hingebung und Selbſtvergeſſenheit dem rohen Völkchen eben ſo fremd erſchien, wie in ſeiner Verlaſſenheit und Armuth. Als ſie daher endlich aufwachten und um ſich ſahen, erſchauten ſie nichts als gaffende Geſichter von allen Seiten, Niemand grüßte ſie und ſie wußten nicht, ſollten ſie Jemand grüßen und dieſe Verfremdung und Unfreundlichkeit war von beiden Seiten mehr Verlegenheit als Abſicht. Es wurde Vrenchen bang und heiß, es wurde bleich und roth, Sali nahm es aber bei der Hand und führte das arme Weſen hinweg, das ihm mit ſeinem Haus in der Hand willig folgte, obgleich die Trompe¬ ten im Wirthshauſe luſtig ſchmetterten und Vrenchen ſo gern tanzen wollte. »Hier können wir nicht tanzen! ſagte Sali, als ſie ſich etwas

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/344>, abgerufen am 22.11.2024.