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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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"Ich weiß auch nicht warum!" erwiederte er
und heftete seine Augen an den milden Herbst¬
sonnenschein, der auf den Auen webte und er
mußte sich bezwingen und das Gesicht ganz son¬
derbar verziehen. Sie standen still, um sich zu
küssen; aber es zeigten sich Leute und sie unter¬
ließen es und zogen weiter. Das große Kirch¬
dorf, in welchem Kirchweih war, war schon be¬
lebt von der Lust des Volkes; aus dem statt¬
lichen Gasthofe tönte eine pomphafte Tanzmusik,
da die jungen Dörfler schon um Mittag den
Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem
Wirthshause war ein kleiner Markt aufgeschla¬
gen, bestehend aus einigen Tischen mit Süßig¬
keiten und Backwerk und ein paar Buden mit
Flitterstaat, um welche sich die Kinder und das¬
jenige Volk drängten, welches sich einstweilen
mehr mit Zusehen begnügte. Sali und Vrenchen
traten auch zu den Herrlichkeiten und ließen ihre
Augen darüber fliegen; denn beide hatten zugleich
die Hand in der Tasche und jedes wünschte dem
andern etwas zu schenken, da sie zum ersten
und einzigen Male mit einander zu Markt wa¬
ren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, wel¬

»Ich weiß auch nicht warum!« erwiederte er
und heftete ſeine Augen an den milden Herbſt¬
ſonnenſchein, der auf den Auen webte und er
mußte ſich bezwingen und das Geſicht ganz ſon¬
derbar verziehen. Sie ſtanden ſtill, um ſich zu
küſſen; aber es zeigten ſich Leute und ſie unter¬
ließen es und zogen weiter. Das große Kirch¬
dorf, in welchem Kirchweih war, war ſchon be¬
lebt von der Luſt des Volkes; aus dem ſtatt¬
lichen Gaſthofe tönte eine pomphafte Tanzmuſik,
da die jungen Dörfler ſchon um Mittag den
Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem
Wirthshauſe war ein kleiner Markt aufgeſchla¬
gen, beſtehend aus einigen Tiſchen mit Süßig¬
keiten und Backwerk und ein paar Buden mit
Flitterſtaat, um welche ſich die Kinder und das¬
jenige Volk drängten, welches ſich einſtweilen
mehr mit Zuſehen begnügte. Sali und Vrenchen
traten auch zu den Herrlichkeiten und ließen ihre
Augen darüber fliegen; denn beide hatten zugleich
die Hand in der Taſche und jedes wünſchte dem
andern etwas zu ſchenken, da ſie zum erſten
und einzigen Male mit einander zu Markt wa¬
ren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, wel¬

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[327/0339] »Ich weiß auch nicht warum!« erwiederte er und heftete ſeine Augen an den milden Herbſt¬ ſonnenſchein, der auf den Auen webte und er mußte ſich bezwingen und das Geſicht ganz ſon¬ derbar verziehen. Sie ſtanden ſtill, um ſich zu küſſen; aber es zeigten ſich Leute und ſie unter¬ ließen es und zogen weiter. Das große Kirch¬ dorf, in welchem Kirchweih war, war ſchon be¬ lebt von der Luſt des Volkes; aus dem ſtatt¬ lichen Gaſthofe tönte eine pomphafte Tanzmuſik, da die jungen Dörfler ſchon um Mittag den Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem Wirthshauſe war ein kleiner Markt aufgeſchla¬ gen, beſtehend aus einigen Tiſchen mit Süßig¬ keiten und Backwerk und ein paar Buden mit Flitterſtaat, um welche ſich die Kinder und das¬ jenige Volk drängten, welches ſich einſtweilen mehr mit Zuſehen begnügte. Sali und Vrenchen traten auch zu den Herrlichkeiten und ließen ihre Augen darüber fliegen; denn beide hatten zugleich die Hand in der Taſche und jedes wünſchte dem andern etwas zu ſchenken, da ſie zum erſten und einzigen Male mit einander zu Markt wa¬ ren; Sali kaufte ein Haus von Lebkuchen, wel¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/339>, abgerufen am 22.11.2024.