Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

thut. Sie gingen in's erste Wirthshaus des
Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl bestellte;
ein eigener Tisch wurde ihnen sonntäglich gedeckt
und sie saßen wieder still und bescheiden daran
und beguckten die schön getäfelten Wände von
gebohntem Nußbaumholz, das ländliche aber glän¬
zende und wohlhabende Büffet von gleichem Holze,
und die klaren weißen Fenstervorhänge. Die
Wirthin trat zuthulich herzu und setzte ein Ge¬
schirr voll frischer Blumen auf den Tisch.
"Bis die Suppe kommt, sagte sie, könnt ihr,
wenn es euch gefällig ist, einstweilen die Augen
sättigen an dem Strauße. Allem Anschein nach,
wenn es erlaubt ist zu fragen, seid ihr ein jun¬
ges Brautpaar, das gewiß nach der Stadt geht,
um sich morgen kopuliren zu lassen?" Vrenchen
wurde roth und wagte nicht aufzusehen, Sali
sagte auch nichts und die Wirthin fuhr fort:
"Nun, ihr seid freilich noch wohl jung beide,
aber jung geheirathet lebt lang, sagt man zu¬
weilen, und ihr seht wenigstens hübsch und brav
aus und braucht euch nicht zu verbergen. Or¬
dentliche Leute können etwas zuwege bringen,
wenn sie so jung zusammen kommen und fleißig

21 *

thut. Sie gingen in's erſte Wirthshaus des
Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl beſtellte;
ein eigener Tiſch wurde ihnen ſonntäglich gedeckt
und ſie ſaßen wieder ſtill und beſcheiden daran
und beguckten die ſchön getäfelten Wände von
gebohntem Nußbaumholz, das ländliche aber glän¬
zende und wohlhabende Büffet von gleichem Holze,
und die klaren weißen Fenſtervorhänge. Die
Wirthin trat zuthulich herzu und ſetzte ein Ge¬
ſchirr voll friſcher Blumen auf den Tiſch.
»Bis die Suppe kommt, ſagte ſie, könnt ihr,
wenn es euch gefällig iſt, einſtweilen die Augen
ſättigen an dem Strauße. Allem Anſchein nach,
wenn es erlaubt iſt zu fragen, ſeid ihr ein jun¬
ges Brautpaar, das gewiß nach der Stadt geht,
um ſich morgen kopuliren zu laſſen?« Vrenchen
wurde roth und wagte nicht aufzuſehen, Sali
ſagte auch nichts und die Wirthin fuhr fort:
»Nun, ihr ſeid freilich noch wohl jung beide,
aber jung geheirathet lebt lang, ſagt man zu¬
weilen, und ihr ſeht wenigſtens hübſch und brav
aus und braucht euch nicht zu verbergen. Or¬
dentliche Leute können etwas zuwege bringen,
wenn ſie ſo jung zuſammen kommen und fleißig

21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="323"/>
thut. Sie gingen in's er&#x017F;te Wirthshaus des<lb/>
Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl be&#x017F;tellte;<lb/>
ein eigener Ti&#x017F;ch wurde ihnen &#x017F;onntäglich gedeckt<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;aßen wieder &#x017F;till und be&#x017F;cheiden daran<lb/>
und beguckten die &#x017F;chön getäfelten Wände von<lb/>
gebohntem Nußbaumholz, das ländliche aber glän¬<lb/>
zende und wohlhabende Büffet von gleichem Holze,<lb/>
und die klaren weißen Fen&#x017F;tervorhänge. Die<lb/>
Wirthin trat zuthulich herzu und &#x017F;etzte ein Ge¬<lb/>
&#x017F;chirr voll fri&#x017F;cher Blumen auf den Ti&#x017F;ch.<lb/>
»Bis die Suppe kommt, &#x017F;agte &#x017F;ie, könnt ihr,<lb/>
wenn es euch gefällig i&#x017F;t, ein&#x017F;tweilen die Augen<lb/>
&#x017F;ättigen an dem Strauße. Allem An&#x017F;chein nach,<lb/>
wenn es erlaubt i&#x017F;t zu fragen, &#x017F;eid ihr ein jun¬<lb/>
ges Brautpaar, das gewiß nach der Stadt geht,<lb/>
um &#x017F;ich morgen kopuliren zu la&#x017F;&#x017F;en?« Vrenchen<lb/>
wurde roth und wagte nicht aufzu&#x017F;ehen, Sali<lb/>
&#x017F;agte auch nichts und die Wirthin fuhr fort:<lb/>
»Nun, ihr &#x017F;eid freilich noch wohl jung beide,<lb/>
aber jung geheirathet lebt lang, &#x017F;agt man zu¬<lb/>
weilen, und ihr &#x017F;eht wenig&#x017F;tens hüb&#x017F;ch und brav<lb/>
aus und braucht euch nicht zu verbergen. Or¬<lb/>
dentliche Leute können etwas zuwege bringen,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;o jung zu&#x017F;ammen kommen und fleißig<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] thut. Sie gingen in's erſte Wirthshaus des Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl beſtellte; ein eigener Tiſch wurde ihnen ſonntäglich gedeckt und ſie ſaßen wieder ſtill und beſcheiden daran und beguckten die ſchön getäfelten Wände von gebohntem Nußbaumholz, das ländliche aber glän¬ zende und wohlhabende Büffet von gleichem Holze, und die klaren weißen Fenſtervorhänge. Die Wirthin trat zuthulich herzu und ſetzte ein Ge¬ ſchirr voll friſcher Blumen auf den Tiſch. »Bis die Suppe kommt, ſagte ſie, könnt ihr, wenn es euch gefällig iſt, einſtweilen die Augen ſättigen an dem Strauße. Allem Anſchein nach, wenn es erlaubt iſt zu fragen, ſeid ihr ein jun¬ ges Brautpaar, das gewiß nach der Stadt geht, um ſich morgen kopuliren zu laſſen?« Vrenchen wurde roth und wagte nicht aufzuſehen, Sali ſagte auch nichts und die Wirthin fuhr fort: »Nun, ihr ſeid freilich noch wohl jung beide, aber jung geheirathet lebt lang, ſagt man zu¬ weilen, und ihr ſeht wenigſtens hübſch und brav aus und braucht euch nicht zu verbergen. Or¬ dentliche Leute können etwas zuwege bringen, wenn ſie ſo jung zuſammen kommen und fleißig 21 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/335
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/335>, abgerufen am 25.11.2024.