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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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grünes Büschel stehen lassen. Solche Ruthe tra¬
gen sie wie ein Scepter vor sich hin; wenn sie
in eine Amtsstube oder Kanzlei treten, so stellen
sie die Gerte ehrerbietig in einen Winkel, ver¬
gessen aber auch nach den ernstesten Verhandlun¬
gen nie, dieselbe säuberlich wieder mitzunehmen
und unversehrt nach Hause zu tragen, wo es
erst dem kleinsten Söhnchen gestattet ist, sie zu
Grunde zu richten. Warum thun sie dies? --
Als Sali und Vrenchen die vielen Spaziergänger
sahen, lachten sie in's Fäustchen und freuten sich,
auch gepaart zu sein, schlüpften aber seitwärts
auf engere Waldpfade, wo sie sich in tiefen Ein¬
samkeiten verloren. Sie hielten sich auf, wo es
sie freute, eilten vorwärts und ruhten wieder,
und wie keine Wolke am reinen Himmel stand,
trübte auch keine Sorge in diesen Stunden ihr
Gemüth, sie vergaßen woher sie kamen und wo¬
hin sie gingen und benahmen sich so fein und
ordentlich dabei, daß trotz aller frohen Erregung
und Bewegung Vrenchens niedlicher einfacher
Aufputz so frisch und unversehrt blieb, wie er
am Anfang gewesen war. Sali betrug sich auf
diesem Wege nicht wie ein beinahe zwanzigjähri¬

Keller, die Leute von Seldwyla. 21

grünes Büſchel ſtehen laſſen. Solche Ruthe tra¬
gen ſie wie ein Scepter vor ſich hin; wenn ſie
in eine Amtsſtube oder Kanzlei treten, ſo ſtellen
ſie die Gerte ehrerbietig in einen Winkel, ver¬
geſſen aber auch nach den ernſteſten Verhandlun¬
gen nie, dieſelbe ſäuberlich wieder mitzunehmen
und unverſehrt nach Hauſe zu tragen, wo es
erſt dem kleinſten Söhnchen geſtattet iſt, ſie zu
Grunde zu richten. Warum thun ſie dies? —
Als Sali und Vrenchen die vielen Spaziergänger
ſahen, lachten ſie in's Fäuſtchen und freuten ſich,
auch gepaart zu ſein, ſchlüpften aber ſeitwärts
auf engere Waldpfade, wo ſie ſich in tiefen Ein¬
ſamkeiten verloren. Sie hielten ſich auf, wo es
ſie freute, eilten vorwärts und ruhten wieder,
und wie keine Wolke am reinen Himmel ſtand,
trübte auch keine Sorge in dieſen Stunden ihr
Gemüth, ſie vergaßen woher ſie kamen und wo¬
hin ſie gingen und benahmen ſich ſo fein und
ordentlich dabei, daß trotz aller frohen Erregung
und Bewegung Vrenchens niedlicher einfacher
Aufputz ſo friſch und unverſehrt blieb, wie er
am Anfang geweſen war. Sali betrug ſich auf
dieſem Wege nicht wie ein beinahe zwanzigjähri¬

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[321/0333] grünes Büſchel ſtehen laſſen. Solche Ruthe tra¬ gen ſie wie ein Scepter vor ſich hin; wenn ſie in eine Amtsſtube oder Kanzlei treten, ſo ſtellen ſie die Gerte ehrerbietig in einen Winkel, ver¬ geſſen aber auch nach den ernſteſten Verhandlun¬ gen nie, dieſelbe ſäuberlich wieder mitzunehmen und unverſehrt nach Hauſe zu tragen, wo es erſt dem kleinſten Söhnchen geſtattet iſt, ſie zu Grunde zu richten. Warum thun ſie dies? — Als Sali und Vrenchen die vielen Spaziergänger ſahen, lachten ſie in's Fäuſtchen und freuten ſich, auch gepaart zu ſein, ſchlüpften aber ſeitwärts auf engere Waldpfade, wo ſie ſich in tiefen Ein¬ ſamkeiten verloren. Sie hielten ſich auf, wo es ſie freute, eilten vorwärts und ruhten wieder, und wie keine Wolke am reinen Himmel ſtand, trübte auch keine Sorge in dieſen Stunden ihr Gemüth, ſie vergaßen woher ſie kamen und wo¬ hin ſie gingen und benahmen ſich ſo fein und ordentlich dabei, daß trotz aller frohen Erregung und Bewegung Vrenchens niedlicher einfacher Aufputz ſo friſch und unverſehrt blieb, wie er am Anfang geweſen war. Sali betrug ſich auf dieſem Wege nicht wie ein beinahe zwanzigjähri¬ Keller, die Leute von Seldwyla. 21

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/333>, abgerufen am 22.11.2024.