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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Sonne krumm wurde, dieser Buchbinder rief:
Zur Gesundheit! und alle Nachbarsleute lachten.
Einer nach dem andern steckte den Kopf durch
das Fenster, einige traten sogar vor die Thüre
und gaben sich Prisen, und so war das Zeichen
gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung
und zu einem fröhlichen Gelächter während des
Vesperkaffee's, der schon aus allen Häusern duf¬
tete und zichorirte. Diese hatten endlich gelernt,
sich an wenigem einen Spaß zu machen. Da
kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬
mann mit einem schön polirten Orgelkasten, was
in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit ist, da
sie keine eingeborene Leiermänner besitzt. Er
spielte ein sehnsüchtiges Lied von der Ferne und
ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen
schön dünkte und besonders der Wittwe Thränen
entlockte, da sie ihres Pankräzchens gedachte, das
nun schon funfzehn Jahre verschwunden war.
Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer,
er zog ab und das Plätzchen wurde wieder still.
Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬
umtreiber mit einem großen fremden Vogel in
einem Käfig, den er unaufhörlich zwischen dem

Sonne krumm wurde, dieſer Buchbinder rief:
Zur Geſundheit! und alle Nachbarsleute lachten.
Einer nach dem andern ſteckte den Kopf durch
das Fenſter, einige traten ſogar vor die Thüre
und gaben ſich Priſen, und ſo war das Zeichen
gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung
und zu einem fröhlichen Gelächter während des
Vesperkaffee's, der ſchon aus allen Häuſern duf¬
tete und zichorirte. Dieſe hatten endlich gelernt,
ſich an wenigem einen Spaß zu machen. Da
kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬
mann mit einem ſchön polirten Orgelkaſten, was
in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit iſt, da
ſie keine eingeborene Leiermänner beſitzt. Er
ſpielte ein ſehnſüchtiges Lied von der Ferne und
ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen
ſchön dünkte und beſonders der Wittwe Thränen
entlockte, da ſie ihres Pankräzchens gedachte, das
nun ſchon funfzehn Jahre verſchwunden war.
Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer,
er zog ab und das Plätzchen wurde wieder ſtill.
Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬
umtreiber mit einem großen fremden Vogel in
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[21/0033] Sonne krumm wurde, dieſer Buchbinder rief: Zur Geſundheit! und alle Nachbarsleute lachten. Einer nach dem andern ſteckte den Kopf durch das Fenſter, einige traten ſogar vor die Thüre und gaben ſich Priſen, und ſo war das Zeichen gegeben zu einer kleinen Nachmittagsunterhaltung und zu einem fröhlichen Gelächter während des Vesperkaffee's, der ſchon aus allen Häuſern duf¬ tete und zichorirte. Dieſe hatten endlich gelernt, ſich an wenigem einen Spaß zu machen. Da kam in dies Vergnügen herein ein fremder Leier¬ mann mit einem ſchön polirten Orgelkaſten, was in der Schweiz eine ziemliche Seltenheit iſt, da ſie keine eingeborene Leiermänner beſitzt. Er ſpielte ein ſehnſüchtiges Lied von der Ferne und ihren Dingen, welches die Leute über die Maßen ſchön dünkte und beſonders der Wittwe Thränen entlockte, da ſie ihres Pankräzchens gedachte, das nun ſchon funfzehn Jahre verſchwunden war. Der Schuhmacher gab dem Manne einen Kreuzer, er zog ab und das Plätzchen wurde wieder ſtill. Aber nicht lange nachher kam ein anderer Her¬ umtreiber mit einem großen fremden Vogel in einem Käfig, den er unaufhörlich zwiſchen dem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/33>, abgerufen am 24.11.2024.