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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Dich Gott und denk' an mich in Deiner Herr¬
lichkeit!"

Die Bäuerin zog ab mit ihrem Bündelthurme,
mit Mühe das Gleichgewicht behauptend, und
hinter ihr drein ging ihr Knechtchen, das sich in
Vrenchens einst buntbemalte Bettstatt hineinstellte,
den Kopf gegen den mit verblichenen Sternen
bedeckten Himmel derselben stemmte und, ein
zweiter Simson, die zwei vorderen zierlich ge¬
schnitzten Säulen faßte, welche diesen Himmel
trugen. Als Vrenchen, an Sali gelehnt, dem
Zuge nachschaute und den wandelnden Tempel
zwischen den Gärten sah, sagte es: "Das gäbe
noch ein artiges Gartenhäuschen oder eine Laube,
wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tisch¬
chen und ein Bänklein drein stellte und Winden
drum herumsäete! Wolltest Du mit darin sitzen,
Sali?" "Ja, Vreeli! besonders wenn die
Winden aufgewachsen wären!" -- "Was stehen
wir noch? sagte Vrenchen, nichts hält uns mehr
zurück!" "So komm und schließ das Haus zu!"
"Wem willst Du denn den Schlüssel übergeben?"
Vrenchen sah sich um. "Hier an die Helbart
wollen wir ihn hängen; sie ist über hundert Jahr

Dich Gott und denk' an mich in Deiner Herr¬
lichkeit!«

Die Bäuerin zog ab mit ihrem Bündelthurme,
mit Mühe das Gleichgewicht behauptend, und
hinter ihr drein ging ihr Knechtchen, das ſich in
Vrenchens einſt buntbemalte Bettſtatt hineinſtellte,
den Kopf gegen den mit verblichenen Sternen
bedeckten Himmel derſelben ſtemmte und, ein
zweiter Simſon, die zwei vorderen zierlich ge¬
ſchnitzten Säulen faßte, welche dieſen Himmel
trugen. Als Vrenchen, an Sali gelehnt, dem
Zuge nachſchaute und den wandelnden Tempel
zwiſchen den Gärten ſah, ſagte es: »Das gäbe
noch ein artiges Gartenhäuschen oder eine Laube,
wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tiſch¬
chen und ein Bänklein drein ſtellte und Winden
drum herumſäete! Wollteſt Du mit darin ſitzen,
Sali?« »Ja, Vreeli! beſonders wenn die
Winden aufgewachſen wären!« — »Was ſtehen
wir noch? ſagte Vrenchen, nichts hält uns mehr
zurück!« »So komm und ſchließ das Haus zu!«
»Wem willſt Du denn den Schlüſſel übergeben?«
Vrenchen ſah ſich um. »Hier an die Helbart
wollen wir ihn hängen; ſie iſt über hundert Jahr

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[314/0326] Dich Gott und denk' an mich in Deiner Herr¬ lichkeit!« Die Bäuerin zog ab mit ihrem Bündelthurme, mit Mühe das Gleichgewicht behauptend, und hinter ihr drein ging ihr Knechtchen, das ſich in Vrenchens einſt buntbemalte Bettſtatt hineinſtellte, den Kopf gegen den mit verblichenen Sternen bedeckten Himmel derſelben ſtemmte und, ein zweiter Simſon, die zwei vorderen zierlich ge¬ ſchnitzten Säulen faßte, welche dieſen Himmel trugen. Als Vrenchen, an Sali gelehnt, dem Zuge nachſchaute und den wandelnden Tempel zwiſchen den Gärten ſah, ſagte es: »Das gäbe noch ein artiges Gartenhäuschen oder eine Laube, wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tiſch¬ chen und ein Bänklein drein ſtellte und Winden drum herumſäete! Wollteſt Du mit darin ſitzen, Sali?« »Ja, Vreeli! beſonders wenn die Winden aufgewachſen wären!« — »Was ſtehen wir noch? ſagte Vrenchen, nichts hält uns mehr zurück!« »So komm und ſchließ das Haus zu!« »Wem willſt Du denn den Schlüſſel übergeben?« Vrenchen ſah ſich um. »Hier an die Helbart wollen wir ihn hängen; ſie iſt über hundert Jahr

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/326>, abgerufen am 22.11.2024.