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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sah, und fiel ihm um den Hals; dann sahen
sich aber Beide erschrocken an und riefen: "Wie
siehst Du elend aus!" Denn Sali sah nicht
minder als Vrenchen bleich und abgezehrt aus.
Alles vergessend zog es ihn zu sich auf den
Heerd und sagte: "Bist Du krank gewesen, oder
ist es Dir auch so schlimm gegangen?" Sali
antwortete: "Nein, ich bin gerade nicht krank,
außer vor Heimweh nach Dir! Bei uns geht
es jetzt hoch und herrlich zu; der Vater hat
einen Einzug und Unterschleif von auswärtigem
Gesindel und ich glaube, so viel ich merke, ist
er ein Diebshehler geworden. Deshalb ist jetzt
einstweilen Hülle und Fülle in unserer Taverne,
so lang es geht und bis es ein Ende mit Schre¬
cken nimmt. Die Mutter hilft dazu, aus bitter¬
licher Gier, nur etwas im Hause zu sehen, und
glaubt den Unfug noch durch eine gewisse Auf¬
sicht und Ordnung annehmlich und nützlich zu
machen! Mich fragt man nicht und ich konnte
mich nicht viel darum kümmern; denn ich kann
nur an Dich denken Tag und Nacht. Da aller¬
lei Landstreicher bei uns einkehren, so haben wir
alle Tage gehört, was bei euch vorgeht, worüber

ſah, und fiel ihm um den Hals; dann ſahen
ſich aber Beide erſchrocken an und riefen: »Wie
ſiehſt Du elend aus!» Denn Sali ſah nicht
minder als Vrenchen bleich und abgezehrt aus.
Alles vergeſſend zog es ihn zu ſich auf den
Heerd und ſagte: »Biſt Du krank geweſen, oder
iſt es Dir auch ſo ſchlimm gegangen?« Sali
antwortete: »Nein, ich bin gerade nicht krank,
außer vor Heimweh nach Dir! Bei uns geht
es jetzt hoch und herrlich zu; der Vater hat
einen Einzug und Unterſchleif von auswärtigem
Geſindel und ich glaube, ſo viel ich merke, iſt
er ein Diebshehler geworden. Deshalb iſt jetzt
einſtweilen Hülle und Fülle in unſerer Taverne,
ſo lang es geht und bis es ein Ende mit Schre¬
cken nimmt. Die Mutter hilft dazu, aus bitter¬
licher Gier, nur etwas im Hauſe zu ſehen, und
glaubt den Unfug noch durch eine gewiſſe Auf¬
ſicht und Ordnung annehmlich und nützlich zu
machen! Mich fragt man nicht und ich konnte
mich nicht viel darum kümmern; denn ich kann
nur an Dich denken Tag und Nacht. Da aller¬
lei Landſtreicher bei uns einkehren, ſo haben wir
alle Tage gehört, was bei euch vorgeht, worüber

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[294/0306] ſah, und fiel ihm um den Hals; dann ſahen ſich aber Beide erſchrocken an und riefen: »Wie ſiehſt Du elend aus!» Denn Sali ſah nicht minder als Vrenchen bleich und abgezehrt aus. Alles vergeſſend zog es ihn zu ſich auf den Heerd und ſagte: »Biſt Du krank geweſen, oder iſt es Dir auch ſo ſchlimm gegangen?« Sali antwortete: »Nein, ich bin gerade nicht krank, außer vor Heimweh nach Dir! Bei uns geht es jetzt hoch und herrlich zu; der Vater hat einen Einzug und Unterſchleif von auswärtigem Geſindel und ich glaube, ſo viel ich merke, iſt er ein Diebshehler geworden. Deshalb iſt jetzt einſtweilen Hülle und Fülle in unſerer Taverne, ſo lang es geht und bis es ein Ende mit Schre¬ cken nimmt. Die Mutter hilft dazu, aus bitter¬ licher Gier, nur etwas im Hauſe zu ſehen, und glaubt den Unfug noch durch eine gewiſſe Auf¬ ſicht und Ordnung annehmlich und nützlich zu machen! Mich fragt man nicht und ich konnte mich nicht viel darum kümmern; denn ich kann nur an Dich denken Tag und Nacht. Da aller¬ lei Landſtreicher bei uns einkehren, ſo haben wir alle Tage gehört, was bei euch vorgeht, worüber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/306>, abgerufen am 22.11.2024.