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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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nannte, als Vrenchens Großvater das Ding als
Wachtmeister getragen, welches es jetzt aus Noth
in die Bohnen gepflanzt hatte; dort kletterten
sie wieder lustig eine verwitterte Leiter empor,
die am Hause lehnte seit undenklichen Zeiten,
und hingen von da in die klaren Fensterchen
hinunter wie Vrenchens Kräuselhaare in seine
Augen. Dieser mehr malerische als wirthliche
Hof lag etwas beiseit und hatte keine näheren
Nachbarhäuser, auch ließ sich in diesem Augen¬
blicke nirgends eine lebendige Seele wahrneh¬
men; Sali lehnte daher in aller Sicherheit an
einem alten Scheunchen, etwa dreißig Schritte
entfernt und schaute unverwandt nach dem stillen
wüsten Hause hinüber. Eine geraume Zeit
lehnte und schaute er so, als Vrenchen unter
die Hausthür kam und lange vor sich hinblickte,
wie mit allen ihren Gedanken an einem Gegen¬
stande hängend. Sali rührte sich nicht und
wandte kein Auge von ihr. Als sie endlich zu¬
fällig in dieser Richtung hinsah, fiel er ihr in
die Augen. Sie sahen sich eine Weile an, her¬
über und hinüber, als ob sie eine Lufterschei¬
nung betrachteten, bis sich Sali endlich aufrich¬

nannte, als Vrenchens Großvater das Ding als
Wachtmeiſter getragen, welches es jetzt aus Noth
in die Bohnen gepflanzt hatte; dort kletterten
ſie wieder luſtig eine verwitterte Leiter empor,
die am Hauſe lehnte ſeit undenklichen Zeiten,
und hingen von da in die klaren Fenſterchen
hinunter wie Vrenchens Kräuſelhaare in ſeine
Augen. Dieſer mehr maleriſche als wirthliche
Hof lag etwas beiſeit und hatte keine näheren
Nachbarhäuſer, auch ließ ſich in dieſem Augen¬
blicke nirgends eine lebendige Seele wahrneh¬
men; Sali lehnte daher in aller Sicherheit an
einem alten Scheunchen, etwa dreißig Schritte
entfernt und ſchaute unverwandt nach dem ſtillen
wüſten Hauſe hinüber. Eine geraume Zeit
lehnte und ſchaute er ſo, als Vrenchen unter
die Hausthür kam und lange vor ſich hinblickte,
wie mit allen ihren Gedanken an einem Gegen¬
ſtande hängend. Sali rührte ſich nicht und
wandte kein Auge von ihr. Als ſie endlich zu¬
fällig in dieſer Richtung hinſah, fiel er ihr in
die Augen. Sie ſahen ſich eine Weile an, her¬
über und hinüber, als ob ſie eine Lufterſchei¬
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[270/0282] nannte, als Vrenchens Großvater das Ding als Wachtmeiſter getragen, welches es jetzt aus Noth in die Bohnen gepflanzt hatte; dort kletterten ſie wieder luſtig eine verwitterte Leiter empor, die am Hauſe lehnte ſeit undenklichen Zeiten, und hingen von da in die klaren Fenſterchen hinunter wie Vrenchens Kräuſelhaare in ſeine Augen. Dieſer mehr maleriſche als wirthliche Hof lag etwas beiſeit und hatte keine näheren Nachbarhäuſer, auch ließ ſich in dieſem Augen¬ blicke nirgends eine lebendige Seele wahrneh¬ men; Sali lehnte daher in aller Sicherheit an einem alten Scheunchen, etwa dreißig Schritte entfernt und ſchaute unverwandt nach dem ſtillen wüſten Hauſe hinüber. Eine geraume Zeit lehnte und ſchaute er ſo, als Vrenchen unter die Hausthür kam und lange vor ſich hinblickte, wie mit allen ihren Gedanken an einem Gegen¬ ſtande hängend. Sali rührte ſich nicht und wandte kein Auge von ihr. Als ſie endlich zu¬ fällig in dieſer Richtung hinſah, fiel er ihr in die Augen. Sie ſahen ſich eine Weile an, her¬ über und hinüber, als ob ſie eine Lufterſchei¬ nung betrachteten, bis ſich Sali endlich aufrich¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/282>, abgerufen am 27.11.2024.